Fremdwasserprobleme, Klimawandel und Grundstücksentwässerung
12.04.2011
Über 600 Fachleute besuchten das 24. Lindauer Seminar
Einleitend erläuterte Prof. Dr.-Ing. Albert Göttle, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Umwelt, die kommenden Herausforderungen, die der Klimawandel aller Voraussicht nach an die Wasserwirtschaft stellt. Das absehbare Grundmuster aller Prognosen –trockenere Sommer, nassere Winter, extremere Niederschlags-Einzelereignisse- stellt die Wasserwirtschaft nicht nur in Sachen Hochwasservorsorge vor Probleme. Man könne, so Göttle, ja den Hochwasserschutz nicht in Dimensionen treiben, die jenseits aller volkswirtschaftlichen Machbarkeit lägen. Dem gegenüber oft unterschätzt wird zugleich das Problem Niedrigwasser. Ausgedehnte Dürreperioden werden künftig ein ebenso unangenehmes Pendant zu fatalen Hochwassern sein. Nicht ohne Sorge sieht Göttle das Umsichgreifen der Geothermie als regenerative Energiequelle. Durch tief greifende geothermische Bohrungen werden allerorten Grundwasserleiter und die zwischen ihnen liegenden Trennschichten durchstoßen. So könnte es zur Ausbreitung von Verunreinigungen auch in tiefe, vermeintlich sichere Grundwasservorkommen kommen. Auch die zunehmende Energie-Landwirtschaft wird von Wasserwirtschaftlern mit Skepsis betrachtet, da intensivierter Landbau und die Nutzung weiterer Flächen nicht ohne Rückwirkung auf Grund- und Oberflächengewässer bleiben kann.
Energie war auch der Aspekt der im Fokus der Betrachtungen von Gunda Röstel, Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden, stand. Sie erläuterte, warum Energiekosten künftig immer wichtiger für die Ökonomie der Stadtentwässerung werden, und zeigte am Beispiel von Dresden Lösungsansätze auf.
Zu den zentralen Aufgaben der Siedlungsentwässerung gehört laut Univ.-Prof. Dr.-Ing. Max Dohmann (Aachen) die Auseinandersetzung mit dem rapide wachsenden Problem der anthropogenen Spurenstoffe wie Arzneimittelrückstände, Haushaltschemikalien und endokrinen Substanzen im (häuslichen) Abwasser. Dieses Phänomen sei nicht nur auf der Ebene der Abwasserbehandlung zu betrachten, sondern liefere zusätzliche ernst zu nehmende Argumente für die Frage der funktionssicheren und dichten Abwassernetze. Das gilt auch für die privaten Abwasserleitungen, deren Dichtheit in Prof. Dohmanns Heimat Nordrhein-Westfalen inzwischen kraft Landeswassergesetz, das deren baldige Prüfung fordert, zu einem „heißen“ Politikum geworden ist. Rund 3,5 Millionen Grundstücke gibt es in NRW, davon liegen 400.000 in Wasserschutzgebieten und sind daher von Rechts wegen noch vor 2015 auf Dichtheit zu prüfen. Bis März 2015 waren davon landesweit rund 50.000 Grundstücke abgearbeitet. Handlungsanlass auf dem Grundstück ist aber nicht generell der Grundwasserschutz; die Forderung nach Dichtheit lässt sich auch durch die Fremdwasservermeidung nachhaltig begründen.
Überzeugende Zahlen dazu lieferte Hans Buchmeier von der Stadtentwässerung Straubing. Dort (56.000 Einwohner, 260 km Kanalsystem, 11000 Grundstücke) hat man nachgerechnet, welche Kosten durch Fremdwasser erzeugt werden. Von den 7,5 Millionen m³ Abwasser, die jährlich die Straubinger Kläranlage passieren, sind 3 Millionen m³ (42%) Fremdwasser. Dieses wirft Betriebskosten in Höhe von 200.000€ pro Jahr auf, hinzu kommen 100.000 € Abwasserabgaben, die für das Fremdwasser zu zahlen sind. Fest steht, da das öffentliche Kanalnetz nach diversen Sanierungen inzwischen in ordnungsgemäßem Zustand ist, dass das aktuelle Fremdwasser inzwischen fast ausschließlich aus privaten Grundstücksentwässerungen stammt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die bundesweit 2,1 Milliarden Kubikmeter Fremdwasser, die das Statistische Bundesamt DESTATIS 2008 erfasste, nach Straubinger Kostenansätzen die Kommunen mit 210 Millionen € belasten – jährlich! Da rechnet es sich –und nicht nur in Straubing- wenn eine Gemeinde in Vorleistung die Kosten für die Inspektion der Grundstücksentwässerungen übernimmt, auf die Abwassergebühren umlegt und dann die Grundstückseigentümer als Verursacher des Problems, falls erforderlich, zur Sanierung heran zieht.
Die Kosten für die Sanierung lagen in NRW laut Prof. Dohmann übrigens bislang bei durchschnittlich 5.800 € pro Grundstück und damit weitab apokalyptischer Prognosen von „mehreren 10.000 €“, die durch NRW-Bürgerinitiativen derzeit gern und laut verbreitet werden. Einen Überblick über tatsächliche Schadensraten lieferte in Lindau Dipl.-Ing. Michael Figge als Repräsentant der REMONDIS Aqua GmbH & Co KG, Lünen. REMONDIS Aqua ist Partner in mehreren PPP-Kooperationen zur Bearbeitung der Grundstücksentwässerungen, unter anderem in Lünen und Oberhausen. Wie Figge ausführte, lagen die bisher ermittelten Schadensraten in Oberhausen (38.000 Grundstücke) bei je nach Gebiet 50 bis 80 %, in Lünen (16.200 Grundstücke) bei 65 bis 85 %. Was in Lünen übrigens zu 5,7 Millionen m³ Fremdwasser in der Kläranlage führt.
Die Inspektions- und Sanierungskosten, die schon den Bürgern auf den Magen schlagen, nehmen natürlich aus der Perspektive eines kommerziellen Wohnimmobilien-Unternehmens ganz andere Dimensionen an. Das machte Dipl.-Ing. Andreas Voß klar, der bei der Deutschen Annington Immobilien GmbH, Bochum, für das Instandhaltungsmanagement zuständig ist. Er beklagte nicht zuletzt den Umstand, dass bundesweit aufgestellte Immobilienunternehmen nicht nur diversen unterschiedlichen Landes-Rechtslagen ausgesetzt seien, sondern potentiell in jeder Kommune einer anderen Satzung. Voß rechnete für die Deutsche Annington den Umfang der anstehenden Aufgabe vor. Um den Immobilienbestand bis 2015 zu inspizieren, sind an 220 Tagen pro Jahr jeweils 25 Prüfungen notwendig; 10 Inspektionsteams wären im Dauereinsatz, wobei jeden Tag 200 Mieter koordiniert werden müssten. Die Kosten allein für die Inspektionen liegen schätzungsweise zwischen 30 und 50 Millionen €. Daraus leitete Voß eine überraschende Forderung ab: Die Immobilienbestände der Wohnungsbauunternehmen seine nach den Maßstäben der SüwVKan zu behandeln, da die meisten Eigentumskomplexe in der Summe größer als 3 Hektar seien. Voß´ Ansicht nach ist es da auch unerheblich, ob diese Bestände durch Straßen getrennt sind – sie müssten als SüwVKan-Fälle behandelt werden (was z.B. den Verzicht auf eine physische Dichtheitsprüfung bedeuten würde.) So sehr diese Idee unternehmerisch verständlich ist, so wenige Chancen dürfte sie in der Praxis wohl haben; der Grundstücksbegriff im grundbuchrechtlichen Sinne wird hier doch sehr stark strapaziert.
Auffallend auf dem 24. Lindauer Seminar war die ungewöhnlich hohe Präsenz von Juristen unter den Referenten – sicher auch ein Zeichen für eine zunehmende Bedeutung rechtlicher Fragen in der Praxis der Wasserwirtschaft. Mit besonderem Interesse aufgenommen wurde im Publikum ein Vortrag von RA Sebastian Jungnickel (FPS Rechtsanwälte, Berlin), der sich mit der Frage auseinander setzte, inwieweit die Stabilität und letztlich die Rechtmäßigkeit von Abwassergebühren von Instandhaltungsmaßnahmen im Kanalnetz abhängen. Grundsätzlich hindern Kommunalabgabengesetze und Gemeindeordnungen nämlich die Kommune daran, übermäßige Kosten in die Gebühren einzustellen. Dieser Fall ist potentiell gegeben, wenn Anlagen und Netze nicht bedarfsgerecht gebaut werden, also überdimensioniert sind, andererseits aber auch dann, wenn offensichtliche Effizienzpotentiale im Abwasserbetrieb nicht genutzt werden. Folge solcher Mängel kann die Rechtsunwirksamkeit der Gebührensatzung sein. Dem Praktiker rückt hier sofort das Stichwort Fremdwasserkosten in den Blick. Ein anderes, weit schwerer lösbares Problem ist die Tatsache, dass viele Anlagen durch die demografische Entwicklung aus dem optimalen Auslastungsgrad heraus rutschen und das Merkmal der Überdimensionierung erfüllen. Wer jedenfalls Abwasseranlagen plant, ohne demografisch absehbare Entwicklungen hinreichend zu berücksichtigen, etwa aus politischem Zweckoptimismus heraus, läuft ebenfalls Gefahr, dass seine Gebührensatzung rechtlich anfechtbar ist. Demografie ist also ein Thema, das (objektiv nachweisbar!) ernst genommen werden muss, will man keine Rechtsrisiken eingehen.
Dass Rechtsfragen überaus spannend und praxisnah sein können, zeigten auch die Ausführungen von Richter Ulrich Schröder, Frankfurt, zur Rückstausicherung. Wie er anhand aktueller Rechtsprechung verdeutlichte, ist es keineswegs eine eiserne Regel, dass kommunale Netzbetreiber sich durch Vorschrift einer Rückstausicherung in der Satzung von allen Haftungsrisiken auf dem Grundstück pauschal freizeichnen können. Zwar gilt nach wie vor der allgemeine Grundsatz, dass keine Haftung zu übernehmen ist für Rückstauschäden, die durch eine Rückstauklappe hätten vermieden werden können. Wichtig sind aber die Ausnahmen. So obliegt den Kommunen fallweise u.U. eine besondere Hinweispflicht, etwa wenn ein Netz Jahrzehnte lang rückstaufrei war, nun aber im Netz bauliche Änderungen vorgenommen werden, welche die hydraulische Ausgangssituation ändern können – etwa wenn Regenüberlaufbauwerke ganz oder temporär geschlossen werden (etwa um sie zu sanieren). Ein anderer durchaus lebensnaher Ausnahmefall sind Havarien im Zuge von Arbeit am Kanal, etwa der Zusammenbruch der Baustellen-Wasserhaltung im Starkregenfall, oder wenn ein Schieber im Netz irrtümlich nicht geöffnet wird. In der Bausituation ist somit zu klären, welche Maßnahmen im Krisenfall Rückstau vermeiden können. Ebenso wichtig: Die Problemlösung darf auch nicht an Kommunikationsmängeln scheitern, wenn etwa Entscheider nicht erreichbar sind. Auch gemeindliche(!) Bäume, die das öffentliche Netz verwurzeln und mangels Entfernung zu Rückstau führen, können zur Haftungsfalle für den Netzbetreiber werden. Fazit: Es gibt durchaus denkbare Fälle, in denen der Netzbetreiber auch dann für Rückstauschäden haftet, wenn auf dem Grundstück keine Rückstausicherung eingebaut wurde.
Angesichts derart brisanter Vorträge war sich das Lindauer Publikum weitgehend einig: Lindau 2011 war spannender denn je. Und für die Jubiläumsveranstaltung im kommenden Jahr am 08. + 09. März 2012 dürfen die Veranstalter Uli und Sonja Jöckel einmal mehr auf viele Fachteilnehmer hoffen.
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