Erster Jahrestag der Rotschlamm-Katastrophe in Ungarn – WWF warnt vor „tickenden Zeitbomben“

25.10.2011

Ein Jahr nach der Rotschlammkatastrophe in Ungarn hat sich nur wenig getan um Katastrophen dieser Art zukünftig zu verhindern, warnt die Umweltorganisation WWF. „Ungarn hat die EU-Präsidentschaft ungenützt verstreichen lassen, um tickende Zeitbomben in Osteuropa zu entschärfen“, kritisiert Gábor Figeczky, Geschäftsführer des WWF Ungarn. Am 4. Oktober 2010 flossen mehr als eine Million Kubikmeter Rotschlamm aus dem gebrochenen Damm einer Aluminiumfabrik nahe der Ortschaft Kolontár. Die stark alkalischen und giftigen Fluten zerstörten mehrere Dörfer und verseuchten Zuflüsse der Donau. Zehn Menschen starben, 150 Menschen wurden verletzt. Boden, Flüsse und Pflanzen sind auch ein Jahr danach noch mit Schwermetallen kontaminiert. Auf aktuellen Luftbildern des WWF sind die Folgen der Katastrophe noch heute deutlich zu erkennen. Die Umweltschützer flogen Ende September über das damalige Katastrophengebiet und dokumentierten den derzeitigen Zustand.

Anlässlich des Jahrestages ruft der WWF in einer Stellungnahme die Europäische Kommission auf, einen Aktionsplan zur effektiven Umsetzung der Europäischen Bergbaurichtlinie einzurichten. „Die EU-Richtlinie, die 2006 eingeführt wurde, ist prinzipiell sehr gut, aber sie muss jetzt endlich konsequent und umfassend in den Ländern umgesetzt werden“, so Figeczky. „Alle Übergangsfristen für die Umsetzung der Richtlinie sind bis Ende diesen Jahres verstrichen und die osteuropäischen Regierungen haben keine Zeit mehr dies länger hinaus zu zögern.“ Der WWF weist besonders darauf hin, dass bis heute kein EU-weites, verpflichtendes Versicherungssystem für ähnliche Giftmülldeponien aus dem Bergbau eingeführt wurde. Auch fehle ein ausreichendes Kontrollsystem ähnlicher Dämme und Anlagen in ganz Osteuropa.
 
„Die EU-Steuerzahler dürfen am Schluss nicht für die Fehler der Behörden und der Bergbau-Unternehmen die Zeche bezahlen, wenn solche Katastrophen wie in Ajka passieren“, so Andreas Beckmann vom WWF-Donau-Karpaten-Programm. „Ein Jahr nach der Katastrophe in Ungarn und zehn Jahre nach dem Unfällen in den rumänischen Orten Baia Mare und Baia Borsa wissen wir heute noch immer nicht, wie viele giftige Zeitbomben in Osteuropa noch ticken.“ Ein Teil der Mitte September 2011 von der ungarischen Regierung gegenüber dem Aluminiumwerk MAL verhängten Strafe in Höhe von 470 Millionen Euro sollte neben der Beseitigung der Schäden und der Kompensation der Bevölkerung des Rotschlamms auch für die Erfassung dieser „Zeitbomben“ investiert werden. Die Regierung versprach zwar eine entsprechende Untersuchung durchzuführen, aber es ist völlig unklar, wann die Studie veröffentlicht wird. „Die ungarische Bevölkerung hat ein Recht darauf zu wissen, mit welchen Risiken sie aus dem Bergbau und seinen Altlasten weiterhin zu rechnen haben“, so Figeczky.
 
Der WWF schlägt einen Aktionsplan vor, der die Risikoplätze nicht nur in Ungarn und den restlichen EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa unter die Lupe nimmt sondern auch in den Nachbarländern wie Kroatien, Serbien, Moldawien und der Ukraine. Der Plan soll die Risiken für Menschen und Umwelt von allen Bergbau-Lagerstätten genau untersuchen und verbindliche Empfehlungen aussprechen und mit den Regierungen vereinbaren, wie die Risiken beseitigt werden können. Dabei sollen Giftstoffe, Schwermetalle und alle gefährlichen Substanzen lückenlos erfasst werden. Auch sollen die aktuell gültigen nationalen Gesetzgebungen nach eventuellen Lücken überprüft werden. Ein eindeutiger Rechtsrahmen muss für die Umsetzung der EU Bergbau-Richtlinie geschaffen werden und vor allem muss klar sein, wer bei Unfällen und Katastrophen die Verantwortung übernimmt.
 
Interviewpartner
 
Martin Geiger
Leiter Bereich Süßwasser
WWF Deutschland
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