Technik zur optimalen Kanalinspektion und Lagebewertung bewährt sich in der Praxis

18.01.2016

Ersterfassung und Kontrolle privater Liegenschaftsentwässerung

Für notwendige Reparaturen oder Sanierungsarbeiten benötigen Betreiber abwassertechnischer Anlagen umfassende Informationen zur Erfassung der vorhandenen Haupt- und Anschlussleitungen. Insbesondere im Bereich privater Liegenschaftsentwässerung sind vorliegende Kanalkataster oftmals unvollständig und erschweren damit die Instandhaltung. Seit einigen Jahren arbeiten Ingenieure und Praktiker an technischen Neuerungen, um Abhilfe zu schaffen.

Sie setzen da an, wo die Vermessung von Schächten sowie Kanal-TV-Inspektionen enden und entwickeln technische Geräte, mit denen es möglich ist, auch verzweigte Kanalstränge zu erfassen und die entsprechenden Daten für die Sanierungsplanung zur Verfügung zu stellen. Zu ihnen gehört die JT-elektronik GmbH in Lindau, die auf die Entwicklung und Herstellung von Kanalinspektions-, Dichtheitsprüf- und Sanierungsanlagen spezialisiert ist. Als Firmengründer Ulrich Jöckel im Jahre 2002 der Branche die Neuentwicklung einer abbiegefähigen Kamera vorstellte, war die Inspektion von verzweigten Grundstücksentwässerungsanlagen noch nirgends ein Thema.

Die konkrete Aufgabenstellung

Eine Stadt in Westfalen hatte Probleme mit Fremdwasser, das nach Sanierung und Abdichtung des Sammlers durch den höheren Grundwasserstand nun aus den Anschlusskanälen in die Kläranlage abgeleitet wurde. Aber wie sollte nun eine normale Satellitenkamera durch das verzweigte Labyrinth von Entwässerungsrohren geführt werden, um die Lage vor Ort zu erfassen? Das war die Frage und gleichzeitig die konkrete Herausforderung für Ulrich Jöckel und sein Team.

Stufe 1: Entwicklung einer Leitvorrichtung

Da die Aufgabe mit herkömmlichen Verfahren nicht zu lösen war, mussten sich die Ingenieure von JT-elektronik etwas Neues einfallen lassen. Sie begannen mit der Entwicklung einer Leitvorrichtung als GFK-Stäbchen. Das funktionierte zwar, ermöglichte aber keine hundertprozentige Kontrolle. Die „Lindauer Schere“, eine abbiegefähige Farb-Dreh-Schwenkkopfkamera mit ausfahrbarer Leitvorrichtung wurde dann auf der IFAT 2002 vorgeführt und vom kritischen Fachpublikum durchaus kontrovers diskutiert. Die Einen belächelten das Konzept, die anderen sprachen von Fehlentwicklungen und nur wenige sagten der Schere eine große Zukunft voraus.

Bei einem Konkurrenzprodukt waren Bauform und der Anwendungsproblematik nicht ganz unproblematisch. Stäbchen, welche als Lenk- und Leitvorrichtungen funktionieren, wurden nun vermehrt eingesetzt und der sogenannten „Stäbchenkrieg“ brachte Klarheit in die Patentsituation. Der Nachteil feststehender Leitvorrichtungen ist bekannt: Der Kamerakopf kann nicht die Rohrverbindung und nur eingeschränkt die Rohrwandung begutachten. Zudem stört das vorstehende Stäbchen die Aussage in der Kanal-Rohrbetrachtung – die Bildqualität ist beeinträchtigt.

Die Formulierung „optische Dichtheitsprüfung“ ist damit nur bedingt realisiert. Mit der zurückziehbaren und patentierten (DE 10102 056 A1) Lindauer Schere stand ein funktionierendes Werkzeug zur Inspektion der verzweigten Rohrleitungen zur Verfügung, da die Abdrück- und Leitvorrichtung beweglich ausgestaltet ist und nur während des Einbiegevorgangs verwendet wird.

Danach ist die Schere zurückgezogen in ihrer Garage im Kamerakopf schmutzgeschützt versteckt. Falls die Kameraoptik verdreckt wird oder Fäkalien die Gläser verschmieren, gibt es einen kleinen Trick: Die Kamera wird in einer Rohrmuffe einmal im Kreis gedreht und die Verschmutzung ist über das in der Muffe stehende Wasser oftmals schon beseitigt.

Stufe 2: Entwicklung neuer Software

Inspektion und Lagebewertung warfen neue Fragen auf: Wo ist eigentlich die Kamera, wo steckt sie augenblicklich, wo ist die Schadensstelle, der Abzweig, die auseinander stehende Muffe, die Deformation oder der Höhensprung in der Senkrechtfahrt? Spätestens nach dem zweiten Abzweig, dem nächsten Rohrbogen war eine „oberirdische“ Ortung erforderlich: Wie aber sind Grundstücke zu erreichen, Gebäude, betonierte Bodenplatten oder vollstehende Kellerräume?

JT-elektronik arbeitete mit der Universität der Bundeswehr München zusammen, um diese Fragen beantworten zu können: Gemeinsam mit Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Günthert, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reinhardt und em. Prof. Dr.-Ing. habil. Hans Heister wurde ab 2004 eine neue Software generiert und das Automatische System zur elektronischen Lagevermessung (ASYS) entwickelt. Basis ist eine hochsensible Sensortechnologie auf mehreren kleinen Elektronik-Platinen, welche die XYZ -Achsen eindeutig erkennen und in der nachgeschalteten Software vorfiltern.

Stufe 3: Umsetzung in der Praxis

Mit dem ASYS ist es erstmals möglich, auch die private Liegenschaftsentwässerung vollständig zu erfassen. Es ist durchaus berechtigt, in diesem Zusammenhang von einer Ersterfassung zu sprechen, da die vorhandenen, oftmals in Archiven zu suchenden Baupläne meist nicht stimmen, Lagen gänzlich anders sind und in der Realität schließlich Querschnitte, Abzweige und die Verlegung in Kurven zutage treten. Die genaue Lage sollte sowohl in der Draufsicht (XY-Achsen) als auch in der Höhe mit der Z-Achse erfolgen.

Schlauchwaagen-Messungen geben nach dem abzuwartenden Austarieren bzw. Ausgleich der Wassersäule nur eine relative Genauigkeit der Höhenvermessung und sind sehr zeitintensiv. Sie helfen nur bei unbekannten Endpunkten – aber fast immer liegen die gemessenen Verläufe in den Bereichen der Hauseinführungen. Daher sollte die genaue Höhe des Übergangs (Schnittstelle) bekannt sein, wie z.B. die Wanddurchführung, die Revisionsklappe, die Putzöffnung, die Rückstauklappe oder das Fallrohr. Dann gibt es keine Missverständnisse zum ge- bzw. vermessenen Rohrverlauf oder zur Höhenlage und damit letztendlich auch nicht hinsichtlich der nachfolgenden Sanierungsplanung.

Die unterhalb der Bodenplatte erdverlegten und verzweigten häuslichen Abwasserrohre sind ein gänzlich anderes Kapitel der Inspektion von Anschlussleitungen und nur in den kommunalen Satzungen festgelegt. Nach EN 752 sind nur „durchgeführte“ Sammelleitungen zu kontrollieren. Kommunen sind jedoch mit der Situation der Drainagen, der Falschanschlüsse usw. vertraut, so dass es sinnvoll erscheint, das gesamte häusliche Abwassernetz zu erfassen und gegebenenfalls auch – über im Keller abgehängte Installationen – zu ersetzen. Das ist meist wesentlich wirtschaftlicher, als mit provisorischen Sanierungen ein nicht nachhaltiges Konstrukt zu bauen.

Wirtschaftliche Lösungen sind auch bei Auftraggebern gefragt. Sie suchen schnelle, zuverlässige und bedienerfreundliche Equipments für die Gesamtkontrolle. Die Herausforderung heißt also: Optimierung der Anwendung und der softwaremäßigen Unterstützung des Bedienerpersonals. Das bedeutet auch, potentielle Mehrkosten zu verhindern. Etwa für den Abbruch der Untersuchung wegen mangelnder Reinigung oder zu schwacher Vortriebstechniken, wegen Verschmutzungen der Frontlinse oder wegen erhöhter Rüstzeiten aufgrund mangelhafter Kameratechnik. Erhöhte Kosten können aber auch entstehen durch unzureichende Bildqualitäten und Lage-Diskussionen und vieles mehr. Effizienz ist das Schlagwort, und nur mit Blick auf diese werden die oftmals diffizilen Erfassungs- und Wartungsarbeiten in abwassertechnischen Systemen ausgeschrieben und in Auftrag gegeben bzw. gefordert.

Wie genau muss also der Leitungsverlauf geodätisch dargestellt werden?

Im System ASYS werden mehrere Sensoriken zur Lagevermessung eingesetzt. Knapp 90 Messwerte pro Sekunde mit den Roll-, Pitch- und Azimut-Winkeln sind Grundlage zur Berechnung des 3D-Kanalverlaufs. Bei ASYS wird die Kamerabewegung nicht mit einem Gyrometer oder Beschleunigungssensor registriert. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Sensoren, die Rotationsbewegungen, Erschütterungen, Schläge, aber auch die abweichende Lage bei der Vorschub- und Rückzug-Bewegung herausfiltern.

Auch über die Darstellung des künstlichen Horizonts, wie er z.B. in Flugzeugen eingesetzt wird, erkennt der Bediener oder TV-Operateur schon während der Befahrung, wo der Verlauf ist und wie er sich darstellt. Unterbogen und Gegengefälle sind nur über diese Berechnungen möglich und weisen den Inspektor auf Unregelmäßigkeiten hin, welche er dokumentieren muss, da diese Abweichungen in der Gesamt-3D-Grafik zu wenig erkennbar sind.

Ausblick

„Unsere Herausforderung gilt einer noch optimierteren und kostenbewussteren Umsetzung, wie sie z.B. mit der abgeschlossenen Entwicklung der Umschaltdüse erzielt wird“, so die Einschätzung von Tobias Jöckel, Entwickler, Geschäftsführer und Vertriebskoordinator von JT-elektronik: „Verschmutzte Gläser und Abbrüche der Inspektion, Kameraequipments zurückholen, reinigen und dann wieder dorthin fahren ist teuer, kostet Zeit und ist mit der „Drucksensorgesteuerten“ JT-Vorschub- und Reinigungsdüse nicht mehr erforderlich. Mindestens 30 Prozent mehr Leistung sind unsere Erkenntnisse. Besser zu sein und dann auch schneller und ausreichend präzise – das sind die Anforderungen an die Technik.“

Funktionale Technik für effiziente Lösungen ist das eine – gefragt sind darüber hinaus Fachleute und Entscheider, die diese zielführend einsetzen: „Nach vorn schauende“ Ingenieurbüros und Kommunen, die kostenbewusst und mit Blick auf realistische Mehrwerte Erfassungs-Projekte ausschreiben, mit begleiten und dann mit den zugeordneten Vermessungsergebnissen dem Liegenschaftsbesitzer die 3D-Grafik erklären. Eine so verstandene gesamtheitliche Kontrolle gewährleistet schon bei der Ersterfassung eine angestrebte Nachhaltigkeit.

Ulrich Jöckel, Gründer von JT-elektronik: „Nicht schätzen, navigieren oder geosense vermessen, sondern detailliert mit der 3D-Sensorik, ASYS und Inspector erfassen und dokumentieren und danach GIS-kompatibel formatieren. So sieht Zukunft erfolgreich aus, darin sind sich die vielen Anwender der JT-Technologie einig.“

Für Daniel Wittmann, technischer Betriebsleiter der JT-elektronik ist auch der nächste Schritt offenkundig: „Noch bedarfsgerechter zu arbeiten und die dafür notwendigen Techniken entwickeln oder verbessern“. Wenn dann auch Schächte lasergescannt und mit Panoramafotoserien ergänzt sind, können abwassertechnische Anlagen in einem Gesamtsystem in 3D dargestellt werden. Rückstau- und Dichtheitsebenen sind perfekt vermessen, und der Begriff des „gläsernen Kanalnetzes“ wird schon morgen umsetzbar. Anschließende Berechnungen zur Hydraulik, den Starkregenabflüssen, aber auch der Substanzerhaltung und -verbesserung können dann einfacher und komplett an PC-Arbeitsplätzen erfolgen. Die Basis dafür existiert bereits und eine Umsetzung sollte kurzfristig generiert werden.

(Autor: M.A. Anna Karsten)

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