Statische Tragfähigkeit und Verformungsverhalten von Abwasserkanalrohren. Eine vergleichende Betrachtung biegesteifer, halbsteifer und biegerweicher Rohre.
10.10.2006
Nach statistischen Erhebungen der DWA beträgt die Gesamtlänge der öffentlichen Abwasserkanäle, die insbesondere unterhalb öffentlicher Straßen eingebaut sind, gegenwärtig 500.000 km.Hinzu kommen die privaten Leitungen -- insbesondere Anschlussleitungen mit einer Gesamtlänge von ca. 900.000 km. Ihre statische Tragfähigkeit stellt also eine für die Sicherheit des öffentlichen Gemeinwesens entscheidende Funktion dar, welche dauerhaft und ohne andere bauliche oder sonstige Güter zu beeinträchtigen sicherzustellen ist. Undichtigkeiten und Verformungen des Bodenkörpers und damit die Beeinträchtigung von Straßen und benachbarten Leitungen und Gebäuden müssen sicher vermieden werden.
Die für die statischen Berechnungen erdverlegter genormter Rohre anzuwendenden Berechnungsverfahren enthalten die Arbeitsblätter ATV-DVWK-A 127 [1] (für die offene Bauweise) und ATV-A 161 [2] (für die geschlossene Bauweise) der DWA, die auch Bestandteil der DIN EN 1295-1 [3] sind. Deren Anwendbarkeit und Gültigkeit hängen wesentlich von einer einwandfreien Planung und Bauausführung nach DIN EN 1610 [4] bzw. ATV-DVWK-A 139 [5] und DIN EN 12889 [6] bzw. ATV-A 125 [7] sowie von der Einhaltung der genormten und durch eine Qualitätsüberwachung sicherzustellenden Werkstoff- und Rohreigenschaften ab. Diese werden selbstverständlich von FBS-Beton- und FBS-Stahlbetonrohren erfüllt, für die eine besonders umfangreiche über die Normen hinausgehende Eigen- und Fremdüberwachung gilt.
In Abhängigkeit des Zusammenwirkens von Rohrsteifigkeit und Bodenverformbarkeit unterscheidet man zwischen biegesteifen, biegeweichen sowie halbsteifen Rohren (DIN EN 476 [8]). Als biegesteif werden Rohre bezeichnet, bei denen eine Belastung zu keinen nennenswerten Verformungen führt. Bei Überschreitung der aufnehmbaren Höchstlast bzw. der zulässigen Spannungen bilden sich Risse. Das Tragverhalten biegeweicher Rohre ist gänzlich anders: Sie verformen sich unter der Belastung und versagen bei Überschreitung der Höchstlast durch unzulässig große Verformungen.
Halbsteife Rohre besitzen sowohl biegesteife als auch biegeweiche Eigenschaften, so dass entsprechend beide Versagensmechanismen auftreten können.
Im Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127 [1] der DWA wird zur Differenzierung von biegeweichem und biegesteifem Tragverhalten die sogenannte Systemsteifigkeit (Verhältnis von Rohrsteifigkeit und horizontaler Bettungssteifigkeit) herangezogen (Bild 1). Ein Rohr ist dann als biegeweich zu bezeichnen, wenn es bei einer Vertikalbelastung eine vertikale Durchmesserreduzierung und eine horizontale Durchmesservergrößerung erfährt und sich dabei gewissermaßen gegen den Boden abstützen kann. Der so aktivierte Bettungsreaktionsdruck behindert eine weitere horizontale Verformung und stützt somit das Rohr.
Genau genommen muss bei der Unterscheidung zwischen biegeweichem und biegesteifem Tragverhalten nicht nur das jeweilige Rohr, sondern das Rohr-Boden-System herangezogen werden. Dennoch lässt sich unter Berücksichtigung normgemäßer Einbauverhältnisse und Rohrsteifigkeiten eine Unterscheidung allein anhand des Rohrwerkstoffes wie folgt vornehmen:
Biegesteife Rohre
- Beton/Stahlbeton
- Steinzeug
- Polymerbeton
- Duktiler Guss (CEM) [9]
- GFK
- PVC-U
- PE-HD
- PP
Bei der Entwicklung des Arbeitsblattes ATVDVWK- A 127 [1] wurde der Anspruch erhoben und realisiert, rohrstatische Berechnungen biegeweicher und biegesteifer Rohre innerhalb einer einzigen Vorschrift zu regeln und ein identisches Sicherheitsniveau in Bezug auf die Versagenswahrscheinlichkeit zu gewährleisten. Dennoch bleibt selbstverständlich das unterschiedliche Tragverhalten bei Belastungen und Belastungsänderungen biegesteifer und biegeweicher Rohre bestehen, was bei Planung und Ausführung von Kanalbaumaßnahmen berücksichtigt werden muss.
Biegeweiche und biegesteife Rohre werden so bemessen, dass sie ein vergleichbares Sicherheitsniveau gegen Versagen besitzen. Bei Planung und Ausführung muss berücksichtigt werden, dass biegeweiche Rohre sich an der Tragfunktion nur untergeordnet beteiligen und mit Verformungsänderungen auf Belastungsänderungen reagieren. Die möglichen Folgen auf Bebauung sowie Straßen- und Schienenwege dürfen nicht vernachlässigt werden.
FBS-Beton- und insbesondere -Stahlbetonrohre zählen zu den biegesteifen Rohren, die sich infolge Belastungsänderungen nicht verformen. Sie können mit dem gültigen Normen und Regelwerk für praktisch alle vorkommenden Belastungs- und Einbaubedingungen bemessen und hergestellt werden. Bereits mit den serienmäßig hergestellten Rohren kann der größte Teil der üblichen Belastungsbedingungen, z.B. durch Variation der Wanddicke, abgedeckt werden. Für spezielle Einsatzbereiche bieten die FBS-Rohrhersteller geeignete Lösungen an wie andere Querschnittsformen, größere Wanddicken oder stärkere Bewehrung bei Stahlbetonrohren.
- [1] Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 127: Richtlinie für die statische Berechnung von Entwässerungskanälen und leitungen (08.2000).
- [2] Arbeitsblatt ATV-A 161: Statische Berechnung von Vortriebsrohren (01.1990).
- [3] DIN EN 1295-1: Statische Berechnung von erdverlegten Rohrleitungen unter verschiedenen Belastungsbedingungen -- Teil 1: Allgemeine Anforderungen (09.1997).
- [4] DIN EN 1610: Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und -kanälen (10.1997).
- [5] Arbeitsblatt ATV-DVWK-A 139: Einbau und Prüfung von Abwasserleitungen und kanälen (01.2002).
- [6] DIN EN 12889: Grabenlose Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen und -kanälen (03.2000).
- [7] Arbeitsblatt ATV-A 125: Rohrvortrieb (09.1996).
- [8] DIN EN 476: Allgemeine Anforderungen an Bauteile für Abwasserkanäle und -leitungen für Schwerkraftentwässerungssysteme (08.1997).
- [9] Firmeninformation Saint-Gobain Gussrohr GmbH & Co. KG, Saarbrücken.
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