Sanierung von nicht dauerhaft standsicheren Großprofilen - Teil 2: Auswirkungen des DWA-A 143-2 auf Linerdimensionierung
29.08.2017
Die vorwiegend unter öffentlichen Straßen verlegten großen Abwassersammler sind vielfach seit über 100 Jahren in Betrieb. Sie bestehen aus Mauerwerk oder Stampfbeton und weisen häufig derart gravierende Schäden auf, dass die dauerhafte Standsicherheit nicht mehr gewährleistet scheint. Als Alternative zu einer Erneuerung stehen auch für Großprofile verschiedene Renovierungsverfahren zur Verfügung, die deutliche Vorteile hinsichtlich der Investitionskosten, des Umweltschutzes und der urbanen Belastung bieten. Die dabei erreichte Verlängerung der Nutzungsdauer kann, je nach Verfahren, durchaus der einer Erneuerung entsprechen. Voraussetzung ist eine eingehende Untersuchung der tatsächlichen Standsicherheit bzw. Resttragfähigkeit des bestehenden Kanals und eine bedarfsgerechte Wahl und Dimensionierung des Sanierungsverfahrens. Teil 1 dieses Fachberichts (3R-Ausgabe 1-2/2016) widmete sich der Zustandserfassung und den Sanierungsverfahren. Teil 2 geht im Folgenden detailliert auf das neue Arbeitsblatt DWA-A 143-2 ein, das eine gute Grundlage für die erforderlichen statischen Berechnungen darstellt.
1. Statische Dimensionierung von Sanierungssystemen
Art und Umfang der statischen Dimensionierung von Sanierungssystemen, die zur Ertüchtigung der hier betrachteten begehbaren Sammler eingesetzt werden sollen, sind maßgeblich vom Altrohrzustand, also der Resttragfähigkeit des Bestandes abhängig. Seit Juli 2015 bildet das DWA-A 143-2 als Nachfolgenorm des ATV-M 127-2 eine wesentliche Grundlage für die statische Nachweisführung von Lining- und Montageverfahren. Nachfolgend werden die im DWA-A 143-2 vorgenommenen Änderungen bzw. Ergänzungen, soweit sie das Sicherheitskonzept und die anzusetzenden Imperfektionen betreffen, im Vergleich zum ATV-M 127-2 dargestellt. Schließlich werden an Beispielen Hinweise zur statischen Modellbildung gegeben sowie die Auswirkungen der normativen Neuregelungen aufgezeigt.
1.1 Anwendung des Teilsicherheitskonzeptes
Eine der wesentlichsten Neuerungen des DWA-A 143-2 im Vergleich zum ATV-M 127-2 besteht in dem Übergang vom globalen Sicherheitskonzept zum Teilsicherheitskonzept. Bisher erfolgte der statische Nachweis unter Verwendung charakteristischer Materialkennwerte (Festigkeiten σBr,k und E-Moduli Ek, z. B. definiert in DIBt-Zulassung). Der Index „k“ beschreibt charakteristische Werkstoffgrößen. Die unter Einwirkung der Gebrauchslast berechneten Spannungen (σ) mussten einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Materialfestigkeit (z. B. bei Altrohrzustand II: erf.γ = 2,0, bei Altrohrzustand III: erf.γ = 1,5) aufweisen. Ferner mussten Verformungs- und Stabilitätsnachweis erfüllt sein. Tabelle 1a und 1b beinhaltet die im DWA-A 143-2 getrennt für Einwirkungen (Lasten) und Widerstände (Werkstoffkennwerte) angegebenen Teilsicherheitsbeiwerte γF und γM sowie
Tabelle 1c die bei der Berücksichtigung von Lastkombinationen (Interaktionsnachweise) ansetzbaren Kombinationsbeiwerte Ψ. Im Rahmen der statischen Berechnung gemäß DWA-A 143-2 erfolgt eine geometrisch nichtlineare Berechnung der Problemstellung mit iterativer Laststeigerung bis zur γF-fachen Gebrauchslast, wobei die um die Teilsicherheit γM abgeminderten Materialkennwerte (Ed = Ek/γM, σBr,d = σBr,k/γM) in Ansatz zu bringen sind. Der Index „d“ beschreibt Bemessungswerte des Werkstoffs.
a) Einwirkung | γF |
---|---|
Ständige Lasten (G) (Erdlasten, Eigenlast, ggf. Oberflächenlast, konzentrierte Flächenlasten) | 1,35 |
Veränderliche Lasten (Q) (Verkehrslasten außer Straßenverkehr, Grundwasser usw.) | 1,50 |
Straßenverkehrslasten | 1,35 |
Kurzzeitiges Hochwasser (Ansatz des Langzeit-E-Moduls) | 1,1 |
Innendruck (inkl. Druckstoß) | 1,5 |
Prüfdruck | 1,2 |
Temperaturänderungen | 1,1 |
Zwangsverformungen | 1,1 |
b) Widerstände (Rohrwerkstoff) | γM |
Kunststoffliner, im Kanal ausgehärtet | 1,35 |
Kunststoffliner, im Werk gefertigt (Extrusion und andere Verfahren) | 1,25 |
Mörtelliner (bei Berücksichtigung von evtl. Kerbwirkungen in der Werkstoffprüfung) | 1,5 |
Nichtrostender Stahl | 1,15 |
Widerstand günstig wirkend (z. B. Zwangsverformung bei Altrohrzustand III) | 1,0 |
Altrohre aus Beton und Steinzeug für Nachweise der Altrohrdruckzonen | 1,50 |
c) Kombinationsbeiwerte (Kombination mit) | ψ |
Temperaturänderungen mit Wasseraußendruck | 0,7 |
Wasseraußendruck mit Erd- und Verkehrslasten | 0,9 |
Ersatzlast für Wasseraußendruck mit Erd- und Verkehrslasten |
0,7 |
Die Gleichungen liegen in ähnlicher Form auch bereits in dem ATV-M 127-2 vor und wurden in DWA-A 143-2 lediglich auf Designwerte (Index „d“ in Gleichung 1 bis 3) umgestellt. Im Rahmen der Berechnung darf die Erdlastkomponente der Vertikallast unter Berücksichtigung der Auftriebswirkung ermittelt werden, ferner darf im Rahmen der Berechnung von krit.pa ein Ringspaltansatz vernachlässigt werden. Als Neuerung ergibt sich durch das DWA-A 143-2 die Möglichkeit eine Berechnung am Gesamtsystem unter Berücksichtigung aller Einwirkungen durchzuführen. Aus den vorstehenden Ausführungen zum Teilsicherheitskonzept des DWA-A 143-2 wird deutlich, dass sich insbesondere bei ARZ III zahlreiche Kombinationen von Lastfällen in Verbindung mit unterschiedlichen anzusetzenden Beiwertkombinationen γF/γM/Ψ ergeben, die statisch zu untersuchen sind [6]. Dadurch resultieren mehr Rechengänge als nach dem ATV-M 127-2, aus deren Ergebnissen die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Liner interpretiert werden muss.
Die unter γF-facher Belastung ermittelten Spannungen σd werden also mit den um γM abgeminderten Festigkeiten σBr,d verglichen. Es werden somit Auslastungen (im Spannungsnachweis σd/σBr,d) ermittelt, die maximal einen Wert von 1,0 annehmen dürfen (100 % Auslastung). Da der Spannungsnachweis nichtlinear unter γF-facher Belastung (Einwirkung) geführt wird, ist der Stabilitätsnachweis in ihm enthalten. Der Verformungsnachweis wird nach wie vor unter Ansatz charakteristischer Materialkennwerte (Ek) bei Gebrauchslasteinwirkung geführt. Einige Konsequenzen, die sich aus den in Tabelle 1 aufgeführten Teilsicherheitsbeiwerten sowie aus der Anwendung des Teilsicherheitskonzeptes ergeben, werden nachfolgend aufgezeigt:
Betrachtet man als Näherung für die globale Sicherheit γ das Produkt der Teilsicherheiten γF · γM, so ergibt sich für Sanierungsverfahren, die im Bereich der Großprofilsanierung zur Anwendung kommen, der in Tabelle 2 aufgeführte Vergleich der Sicherheiten. Es wird deutlich, dass beide Regelwerke DWA-A 143-2 und ATV-M 127-2 für die Schlauchlinersanierung im Altrohrzustand II ein quasi identisches Sicherheitsniveau fordern (2,0 ≈ 2,025). Dies ist deswegen von besonderer Bedeutung, da somit die Bemessungstabellen des DWA-M 144-3 trotz des Wechsels der Bemessungsgrundlage ihre Gültigkeit behalten. Es wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass zudem im Rahmen der statischen Prüfung der Bemessungstabellen Vergleichsberechnungen basierend auf dem Entwurf des DWA-A 143-2 durchgeführt wurden. Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Tabellen ist selbstverständlich nach wie vor die Einhaltung der vorausgesetzten Materialkennwerte und Imperfektionsansätzen. Der Vergleich der in Tabelle 2 aufgeführten Sicherheitsniveaus der beiden Regelwerke zeigt ferner, dass sich für verdämmte GFK-Rohre, bedingt durch den Teilsicherheitsbeiwert γM = 1,25 bei Altrohrzustand II, ein Absinken der Sicherheit auf erf.γ ≈ 1,88 (bisher erf.γ = 2,0) ergibt. Sofern Altrohrzustand III, also Erd- und Straßenverkehrslasten, zu berücksichtigen ist, hat das DWA-A 143-2 in allen betrachteten Fällen eine Anhebung der geforderten Sicherheit gegenüber dem ATV-M 127-2 zur Folge.
Produkt, Altrohrzustand | γ gemäß ATV-M 127-2 [1] | γF· γM gemäß DWA-A 143-2 [2] | |
---|---|---|---|
Schlauchliner, Az II, pa | 2,0 | ≈ | 1,5 · 1,35 = 2,025 |
verdämmtes GFK-Rohr, Az II, pa | 2,0 | > | 1,5 · 1,25 = 1,88 |
Mörtelliner, Az II, pa | 2,0 | < | 1,5 · 1,5 = 2,25 |
Schlauchliner Az III, pE, pV | 1,5 | < | 1,35 · 1,35 = 1,82 |
verdämmtes GFK-Rohr, Az III, pE, pV | 1,5 | < | 1,35 · 1,25 = 1,69 |
Mörtelliner, Az III, pE, pV | 1,5 | < | 1,35 · 1,5 = 2,025 |
Im Zusammenhang mit schwankenden Grundwasserständen trat in der Vergangenheit gelegentlich die Frage auf, wie mit dem Lastfall der Hochwassereinwirkung umzugehen ist. Die Auslegung eines Kunststoffliners unter Ansatz der Langzeitmaterialkennwerte sowie einer erforderlichen globalen Sicherheit von γ = 2,0 (ARZ II) erschien zu konservativ bzw. auch zu unwirtschaftlich. Das DWA-A 143-2 bietet mit der Angabe eines Teilsicherheitsbeiwertes von γF = 1,1 eine Möglichkeit der Nachweisführung. Voraussetzung für den Ansatz dieses Beiwertes ist die Berücksichtigung von langzeitigen Materialkennwerten (E-Modul und Festigkeiten) in der statischen Berechnung. Mit der bereits erwähnten Näherung (γ ≈ γF · γM) ergibt sich somit eine Sicherheit von ca. γF · γM = 1,1 · 1,25 = 1,375 (<1,5 · 1,25 = 1,88). Der kurzzeitige Charakter des Hochwasserereignisses wird also durch Reduzierung des Sicherheitsniveaus gegenüber dem Fall einer langzeitigen Wasseraußendruckbeanspruchung berücksichtigt. Diese Vorgehensweise ist somit nur bei Werkstoffen, die ein von der Belastungszeit abhängiges Last-Verformungsverhalten aufweisen, also bei Kunststoffen, zulässig. Andernfalls (z. B. Mörtelliner, Spritzbetoninnenschale usw.) ist analog zum Fall der langzeitigen Wasseraußendruckbelastung mit γF = 1,5 zu rechnen. Es wird darauf hingewiesen, dass für Kunststoffsysteme nach wie vor die Möglichkeit besteht, die statische Berechnung unter Ansatz der für die Belastungszeit des Hochwasserereignisses gültigen Materialkennwerte zu entnehmen, z. B. aus dem Zeitstandversuch in Kombination mit einem Teilsicherheitsbeiwert γF = 1,5 durchzuführen. Für beide Nachweismöglichkeiten sollte die zu erwartende Einwirkungsdauer beim Bauherrn bzw. dessen Vertretern angefragt werden. Die zweite oben aufgezeigte Nachweismöglichkeit kann durchaus z. B. bei längeren Einwirkungszeiten oder aberauch bei Kunststoffen, die eine relativ schnelle Abminderung der Materialkennwerte zeigen (z. B. PE-HD, ggf. ein Ausnahmefall), maßgebend werden.
Neu im DWA-A 143-2 ist schließlich die Erfassung von Zwangsbeanspruchungen (γF = 1,1) von Sanierungssystemen. Sie können z. B. infolge Temperatureinwirkung, aber auch bei Altrohrzustand III durch Erd- und Verkehrslasten, hervorgerufen werden. Im letztgenannten Fall wird der Querschnitt des erdgebetteten Systems eines gelenkigen Altrohres (bedingt durch Längsrissbildung, oder bedingt durch fehlende Zugspannungsübertragung z. B. bei Mauerwerk) durch Erd- und Verkehrslasten deformiert. Diese Deformation wirkt als Zwangsverformung auf den Liner ein. Ob die Lasteinwirkung oder die Zwangseinwirkung dominierend ist, hängt von der aussteifenden Wirkung des Liners ab [5]. Da sich die Frage nicht von vornherein beantworten lässt, sind im Rahmen der statischen Nachweisführung beide Fälle unter Ansatz der unterschiedlichen Teilsicherheitsbeiwerte zu berücksichtigen.
Neben dem statischen Nachweis einzelner Einwirkungen ist die Zulässigkeit von Einwirkungskombinationen nachzuweisen, wobei die in Tabelle 1c aufgeführten Kombinationsbeiwerte Ψ angesetzt werden dürfen. Der am häufigsten erforderliche Interaktionsnachweis betrifft die Berücksichtigung der gleichzeitigen Einwirkung von Erd- und Verkehrslast (qv) und Wasseraußendruck (pa). Er kann durch Anwendung der Gleichungen (1) bis (3) geführt werden.
Spannungsnachweis (Zugzone):
max.σd: | maximale Zugspannung |
σbZ,d: | Biegezugfestigkeit |
qv: | vertikale Erd- und Verkehrslast |
pa: | Wasseraußendruck |
(1)
Spannungsnachweis (Druckzone):
min. σd: | Maximalwert der Druckspannung |
σD,d: | Druckfestigkeit |
qv: | vertikale Erd- und Verkehrslast |
pa: | Wasseraußendruck |
(2)
Stabilitätsnachweis:
qv,A,d: | vertikale Erd- und Verkehrslast bei Auftrieb |
krit.qv: | Durchschlaglast infolge Erd- und Verkehrslast |
krit.pa: | Durchschlaglast infolge Wasseraußendruck |
(3)
Die Gleichungen liegen in ähnlicher Form auch bereits in dem ATV-M 127-2 vor und wurden in DWA-A 143-2 lediglich auf Designwerte (Index „d“ in Gleichung 1 bis 3) umgestellt. Im Rahmen der Berechnung darf die Erdlastkomponente der Vertikallast unter Berücksichtigung der Auftriebswirkung ermittelt werden, ferner darf im Rahmen der Berechnung von krit.pa ein Ringspaltansatz vernachlässigt werden. Als Neuerung ergibt sich durch das DWA-A 143-2 die Möglichkeit eine Berechnung am Gesamtsystem unter Berücksichtigung aller Einwirkungen durchzuführen.
Aus den vorstehenden Ausführungen zum Teilsicherheitskonzept des DWA-A 143-2 wird deutlich, dass sich insbesondere bei ARZ III zahlreiche Kombinationen von Lastfällen in Verbindung mit unterschiedlichen anzusetzenden Beiwertkombinationen γF/γM/Ψ ergeben, die statisch zu untersuchen sind [6]. Dadurch resultieren mehr Rechengänge als nach dem ATV-M 127-2, aus deren Ergebnissen die Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit der Liner interpretiert werden muss.
Profil | Lage φV | Symmetrie zur Vertikalachse | Größe ωV | Öffnungswinkel 2φ1 | Bemerkungen |
---|---|---|---|---|---|
Nicht normales Eiprofil B:H ≠ 2:3 |
Mitte des flachen Bereiches, einseitig | nein |
0,5 % von H |
Größe des flachen Bereiches | - |
Maulprofil | 180° (Sohle) | symmetrischer u. der Fall ist zu untersuchen | > 0,5 % des Sohlradius, aber ≤ 10 mm | Größe des Sohlbereiches | auch einseitige (unsymmetrische) Lage untersuchen |
Sonstige Großprofile B bzw. H > 1,5 m | 1) | ggf. | 10 mm bis 20 mm | 1) | ggf. mehrere Lagen und Größen untersuchen |
1) Ingenieurmäßig an ungünstigster Stelle festzulegen |
1.2 Statische Modellbildung, Imperfektionsansätze, Nachweise
In der Folge werden allein grabenlose Verfahren betrachtet, die zur statischen Ertüchtigung großer Sammler eingesetzt werden. Für die statische Nachweisführung derartiger Sanierungssysteme bietet sich die Anwendung der Methode der finiten Elemente (FEM) an,
- da es sich bei bestehenden Sammlern häufig um Sonderprofile (s. o.) handelt und mit Hilfe der FEM beliebige Querschnitte in der statischen Modellbildung berücksichtigt werden können,
- da ein für die Bestandsbewertung (Altrohrklassifikation) erstelltes Modell weiterhin verwendet werdenkann, indem es um die Komponente des Sanierungssystems erweitert wird,
- da in dieser Weise relativ unproblematisch unterschiedliche Sanierungsvarianten statisch untersucht und ihr zu erwartender Erfolg bewertet werden kann,
- da relativ leicht Bodenschichtungen, die bei Großprofilen durchaus auch im Bereich der Sammlerhöhe wechseln können, berücksichtigt werden können und
- da schließlich alle Lasten in einer Berechnung berücksichtigt werden können, was Vorteile bei der Führung des Interaktionsnachweises (s. o.) bietet.
Die Grundlagen der statischen Modellbildung haben sich letztlich mit dem Erscheinen des DWA-A 143-2 nicht geändert. Das anzusetzende statische Modell ist im Wesentlichen vom Altrohrzustand I, II, III oder IIIa des bestehenden Sammlers sowie von der Lasteinwirkung abhängig.
Bei Altrohrzustand II wird der Liner primär durch die Einwirkung eines Wasseraußendruckes beansprucht. Gemäß DWA-A 143-2 und ATV-M 127-2 erfolgt die statische Berechnung mit Hilfe des Systems eines quasi starr im Altrohr gebetteten Linerquerschnitts. Während die zur Verfügung stehende Standardsoftware primär die Berechnung von Kreis- und Regeleiprofilen ermöglicht, können durch Anwendung der FEM unterschiedlichste Querschnittsformen (z. B. Maulprofile, Profile mit Gerinne usw.) in der statischen Modellbildung berücksichtigt werden. Der Liner kann mit Hilfe unterschiedlichster Elementtypen (Balken-, Scheiben-, Schalen- oder Volumenelementen) abgebildet werden. Die Bettung des Liners im Altrohr-Boden-System wird z. B. durch die Lagerung mittels über die Lineraußenwandung verteilten Druckfedern bzw. durch die Definition einer entsprechenden Kontaktbedingung simuliert. Neben der Linerdicke stellt der E-Modul die wesentliche Steifigkeitseigenschaft des Liners dar. Gemäß DWA-A 143-2 ist der Designwert Ed anzusetzen. Der Wasseraußendruck wird als Linien- oder Flächenlast auf die Lineraußenwandung aufgebracht und im Rahmen einer geometrisch nichtlinearen Berechnung iterativ bis zur γF-fachen Gebrauchslast gesteigert. Spannungs- und Stabilitätsnachweis sind unter Berücksichtigung der Designwerte zu führen, ferner ist die Einhaltung der zulässigen Linerdeformationen unter Berücksichtigung der charakteristischen Kennwerte nachzuweisen. Da es sich um ein Stabilitätsproblem handelt, sind in der geometrischen Modellbildung des Liners Imperfektionen (Spaltbildung, lokale Vorverformung und Gelenkringvorverformung) zu berücksichtigen. Es ist als sehr positiv anzusehen, dass in DWA-A 143-2 eine deutliche Erweiterung der Hinweise zu den Imperfektionsansätzen erfolgte. Insbesondere wird auf weitere Verfahren (Einzelrohrlining, Wickelrohrlining, Noppenschlauchverfahren) sowie, neben Kreis- und Regeleiprofil, auf weitere Querschnittsformen eingegangen. Gerade große Sammler weisen häufig besondere Profilformen auf. Gemäß DWA-A 143-2 ist in diesen Fällen bei Wickelrohr- und Noppenschlauchverfahren eine Gelenkringvorverformung wGr,V des Scheitels nach innen zu berücksichtigen. Bei verdämmten Verfahren entfällt der Ansatz von wGr,v. Die lokale Imperfektion ist am Ort des zu erwartenden Beulversagens anzusetzen. Hinweise auf den maßgebenden Beulbereich können bekannte Schadensbilder oder Versuchsergebnisse liefern (z. B. bei Kreisprofilen im Sohlbereich, bei Eiprofilen im Kämpferbereich). Tabelle 3 aus DWA-A 143-2 gibt Hinweise zur anzusetzenden lokalen Vorverformung bei besonderen Querschnittsformen (betrifft insbesondere die Großprofilsanierung).
Bild 1 zeigt exemplarisch einen ausschließlich unter Wasseraußendruck verformten Liner in einem maulförmigen Altrohr (überhöhte Darstellung). Die recht flach gewölbte Sohle neigt zum Durchschlagen und aktiviert in den Ecken hohe Stützkräfte. Entsprechend großen Einfluss auf die Standsicherheit hat der Spalt zwischen Altrohr und Liner sowie eine ungünstige örtliche Vorverformung der Sohle.
Wegen der hohen Sensibilität bezüglich der entsprechenden Imperfektionen „örtliche Vorverformung“ und „Spalt“ müssen die Ansätze in der Statik sorgfältig bestimmt und auf der sicheren Seite implementiert werden.
Sofern Altrohrzustand III vorliegt, erfolgt in der statischen Modellbildung die Berücksichtigung von Liner, Altrohrquerschnitt und umgebendem Baugrund. Unter Verwendung der FEM können die genannten Komponenten mit ihrer tatsächlichen Geometrie (Rohrquerschnitte) bzw. Schichtung (Boden) berücksichtigt werden. Die Diskretisierung erfolgt meist als ebenes FE-Modell bzw. als dreidimensionale Schale mit Hilfe von Schalen- bzw. Volumenelementen. In den Übergängen zwischen Liner und Altrohr bzw. zwischen Altrohr und Baugrund sind Kontaktbedingungen (reine Druckspannungsübertragung) zu berücksichtigen. Der Altrohrquerschnitt wird als Gelenkkette abgebildet. Während bei Kreisprofilen im ARZ III vier überlastungsbedingte Längsrisse (Gelenke) in Scheitel, Sohle und Kämpfern zu berücksichtigen sind, sind die Orte der Längsrissbildung bei Sonderprofilen nicht unbedingt von vornherein bekannt. Hier ist ggf. zunächst eine Berechnung als biegesteifer Altrohrquerschnitt durchzuführen. Der Gelenkansatz erfolgt schließlich in den Punkten, in denen sich die maximalen Zugspannungen ergeben.
Bild 2 zeigt die Modellbildung eines maulförmigen GFK-Rohres im Altrohrzustand III. Als Verkehrslast wurde wegen der geringen Überdeckungshöhe eine Radlast angesetzt. Eigengewichtslasten werden berücksichtigt, indem den Elementen die materialspezifische Wichte zugewiesen wird, Verkehrslasten Flächenlasten auf der Modelloberfläche. Die geometrisch nichtlineare Berechnung erfolgt unter Verwendung der Designwerte sowie der gF-fachen Lasten. Spannungs-, Stabilitäts- und Verformungsnachweis sind zu führen.
Bild 3 zeigt exemplarisch, den Verlauf der maximalen Hauptspannungen unter Einwirkung der Erd- und Verkehrslasten. Es wurde eine Hälfte des Modells gerechnet und dargestellt, da die Problemstellung symmetrisch ist.
Bild 4 zeigt den Verlauf der maximalen Hauptspannungen eines GFK-Maulprofils in Bauzustand. Die lokalen Spannungsspitzen ergeben sich durch Verkeilungen an den Auflagerpunkten, die eine Fläche von ca. 10 x 10 cm aufweisen. Um einen besseren Eindruck zu gewinnen, ist das verformte Modell mit einer überhöhten Verformung dargestellt.
Schlussfolgerungen
Für die Aufstellung der statischen Berechnungen im Rahmen der Sanierung von Großprofilen bildet das im Juli 2015 erschienene Arbeitsblatt DWA-A 143-2 eine gute Grundlage. Die großen Abmessungen und die damit verbundenen relativ hohen Kosten für die Ausführung der Sanierung rechtfertigen aber eine genauere und damit aufwändigere statische Beurteilung und Berechnung, da einerseits ein hohes Gefährdungspotential auch für den öffentlichen Straßenraum besteht und sich andererseits ein großes Einsparungspotential eröffnet. Deshalb sollte bereits die Bestimmung des „Altrohrzustandes“ nicht über eine alleinige Inaugenscheinnahme, sondern über eine erweiterte Zustandserfassung des Kanals durchgeführt werden, die idealerweise die folgenden Untersuchungen umfasst:
- Sichtung von Bestandsplänen und ggf. historischen Unterlagen
- Begehung des Kanals und Dokumentation der statisch relevanten Schäden (Risse, Korrosion)
- Einschätzung der aktuellen Standsicherheit bzw. der akuten Einsturzgefahr
- Anlage von Monitoringfeldern mit Gips- und Rissmarken
- Ermittlung der Geometrie der Innen- und Außenkontur der Kanalwandung (Vermessung, Wanddickenermittlung)
- Beprobung der Kanalwandung (Profometermessungen, Bohrkernentnahmen, ggf. Entnahme von Bewehrungsstäben)
- Laborprüfungen zur Ermittlung der statisch relevanten Werkstoffkennwerte
- Baugrunduntersuchungen im und neben dem ehemaligen Graben
- Laboruntersuchungen zur Ermittlung der statisch relevanten Bodenparameter
Mit den Ergebnissen der erweiterten Zustandserfassung erfolgen zunächst die Bestimmung des Altrohrzustandes nach DWA-A 143-2 und die Wahl des Renovierungsverfahrens. Die anschließenden statischen Berechnungen sowohl für den Istzustand als auch für die Bemessung des Liners können in der Regel nicht mehr mit dem Formelwerk des DWA-A 143-2 durchgeführt werden, da die Anwendungsgrenzen in vielerlei Hinsicht überschritten sind. Stattdessen muss im vollen Einklang mit dem Regelwerk eine statische Analyse mit der Methode der Finiten Elemente vorgenommen werden, die vom Statiker neben der genauen Kenntnis der Sanierungsverfahren insbesondere vertiefte Kenntnisse in den numerischen Methoden der Mechanik verlangt.
Die entsprechend aufgestellte Statik liefert eine optimale Dimensionierung des Sanierungsverfahrens (des Liners) inkl. aller erforderlichen Nachweise bezüglich der dauerhaften Standsicherheit und Gebrauchstauglichkeit des Kanals.
Damit ist sichergestellt, dass auch große Sammler möglichst kostengünstig saniert werden können und dennoch über den gesamten vorgesehenen Zeitraum ohne Gefährdung des Oberflächenverkehrs funktionsfähig bleiben.
Teil 1 dieses Fachberichts (3R-Ausgabe 1-2/2016) mit dem Titel "Sanierung von nicht dauerhaft standsicheren Großprofilen - Teil 1: Zustandserfassung und Sanierungsverfahren" ist ebenfalls auf UNITRACC.de erschienen.
Literatur
[1] Stein, Dietrich; Stein, Robert: Instandhaltung von Kanalisationen, 4. Auflage, Band 1, Prof. Dr.-Ing. Stein&Partner GmbH, Bochum 2014
[2] Arbeitsblatt DWA-A 143-2 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 2: Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und Montageverfahren“, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., 2015-07
[3] ATV-M 127-2 „Statische Berechnung zur Sanierung von Abwasserkanälen und -leitungen mit Lining- und Montageverfahren“, 2000-01
[4] DWA-M 144-3 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden - Teil 3: Renovierung mit Schlauchliningverfahren (vor Ort härtendes Schlauchlining) für Abwasserkanäle“, 2012-11
[5] Doll, H.: „Der Schlauchliner als statisch tragendes Element im Altrohr“, bi-Umwelt, Sonderausgabe 03/2014
[6] Beckmann, D.; Kohler, J.: „Altrohrzustand III und Grundwasser: Nachweiskonzept für Liner in nicht dauerhaft standsicheren Kanälen“, 3R, 11-12/2013
Autoren:
S&P Consult GmbH, Bochum, Germany
Telefon: +49 234 5167-181
dietmar.beckmann@stein.de
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