Hundert Jahre alte Kanalisation
Der Eigenbetrieb Stadtentwässerung Pforzheim (ESP) stand 2010 vor der Aufgabe, Teile des Kanalisationssystems zu erneuern und die Anforderungen an heutige Wassermengen anzupassen. Der Grund: Die Kanäle der Stadt sind zum Teil über 100 Jahre alt. Damals ging man noch von niedrigeren Einwohnerzahlen und Abwassermengen aus. Heute müssen pro Sekunde über 9.000 Liter Abwasser aus den verschiedenen Einzugs- und Stadtgebieten durch die Innenstadt geleitet werden. Die Mischwasserkanäle, durch die sowohl Regen- als auch Schmutzwasser fließen, müssen je nach Wetterlage, unterschiedlich starke Wassermengen auffangen. Bei wenig Regen können sich, durch die geringere Strömungsgeschwindigkeit in den Kanalisationsrohren, Schmutzstoffe und Sand absetzen (Sedimentation). Bleiben diese dort lange unbewegt, kann es zu Verstopfungen kommen. Dies kann wiederum bei starkem Regen zu Überschwemmungen führen und somit hohe Kosten verursachen. Auch die höhere Sicherheit der Abwasserentsorgung spielte im Zuge der Sanierungspläne eine wsentliche Rolle: man wollte erreichen, dass weniger Schmutz und Schadstoffe in die Flüsse Nagold und Enz gelangen und dadurch die Wasserqualität nachhaltig verbessert und die Umwelt geschont wird.
Um die Erneuerung des Kanalisationssystems zu realisieren, beauftragte der Eigenbetrieb Stadtentwässerung Pforzheim das Unternehmen Hyder Consulting GmbH (Karlsruhe) mit der Planung eines effizienten Gesamtkonzeptes für die Hauptsammlerstrecken und die Mischwasserbehandlung. Um die gesetzten Ziele mit möglichst geringer Beeinträchtigung des Innenstadtgebietes zu erreichen, plante Hyder Consulting als zentrales Element einen Luftkissendüker unter den Flüssen Enz und Nagold mittels unterirdischen Rohrvortriebs. Zur Realisierung unterteilte man das 26 Mio. € Projekt in verschiedene Bauphasen, die von der Firma Sonntag Baugesellschaft mbH & Co. KG (Bingen) realisiert wurden.
Luftkissendüker – erst acht Mal in Europa realisiert
Beim Bau der neuen Abwasserleitungen in der Innenstadt mussten die Kanalrohre auch unter den beiden Flüssen Enz und Nagold durchgeführt, also unterdükert werden. Die Besonderheit in Pforzheim war, dass ein Luftkissendüker geplant wurde. Bei einem Luftkissendüker wird die Strömungsgeschwindigkeit des Abwassers reguliert und ständig über dem Punkt gehalten, an dem sich Schmutz und Sand in den Rohren festsetzen können. Dadurch werden Ablagerungen vermieden und der Betriebsaufwand minimiert. Der Düker selbst ist ein leicht geneigt liegendes Rohr, mit senkrechten Zuläufen. Der Zu- und Ablauf des Dükers werden durch einen Siphon (Bogen) begrenzt, sodass in den Düker Luft gepumpt werden kann. Diese Luft kann nicht entweichen und reduziert den Querschnitt des Dükers. Strömt wenig Wasser in den Düker, wird ein großes Luftkissen aufgefahren, das den Querschnitt verkleinert und das Wasser schneller fließen lässt. Fällt viel Abwasser an, wird die Luftmenge reduziert und der zu durchfließende Querschnitt vergrößert.
Die Verlegung eines solchen Dükers erfolgt in der Regel in grabenloser Bauweise durch Vortrieb. Hierbei werden eine Start- und Zielgrube gebaut, die später meist auch als Ein- und Auslaufbauwerk dienen. Aus der Startgrube gräbt sich die Vortriebsmaschine unter dem Gewässer hindurch, bis zur Zielgrube. Das entsprechende Dükerrohr wird sofort nachgeschoben, sodass hinter der Maschine schon der fertige Düker entsteht. Durch die Trassenwahl unter den Flüssen Enz und Nagold konnte der zentrale innerstädtische Verkehrsbereich umgangen werden. Die schwierige Aufgabe, Mischwasser mit dieser anspruchsvollen Steuerungstechnik unter einem Hindernis hindurchzuführen, ist bisher in Europa erst acht Mal realisiert worden.
Das Gesamtkonzept für die Sanierung umfasste neben dem Luftkissendüker DN 2200 noch Stauraumkanäle DN 1600 und DN 1400, die Mischwasser speichern und dies dem Regenüberlaufbecken zur Regenwasserbehandlung gedrosselt zuführen, sowie mehrere Zuleitungskanäle.
HOBAS GFK-Rohre – Qualität setzt sich durch
Bei der Wahl der Abwasserrohre für den Düker und für die in geschlossener Bauweise herzustellenden Stauraumkanäle wurden verschiedene Materialien analysiert, verglichen und unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten begutachtet und bewertet. Dem Vorschlag des Planers, für den Vortrieb GFK-Rohre einzusetzen, hat der Bauherr nach einem Variantenvergleich zugestimmt. Entscheidend waren hier das Gesamtkonzept einer Systemlösung aus Vortriebsrohren und Schächten sowie die technischen und wirtschaftlichen Vorteile von GFK-Rohren. Man entschied sich hier für HOBAS, weil die Produkte der geforderten Qualität entsprachen und bereits wertvolle Erfahrungen mit ähnlichen Projekten gesammelt werden konnten. Durch den relativ geringen Durchmesser und die glatte und absorptionsarme Rohraußenwand der HOBAS GFK-Rohre konnten die Installationskosten wegen geringen Abraums und weniger notwendigen Dehnerstationen beim Vortrieb minimiert werden. Die absolute Luft- und Gasdichtheit der Rohre war für die Realisierung des Luftkissendükers unabdingbar. Hier wollte man kein Risiko mit porigen Werkstoffen eingehen.
Mehrphasen Projekt
Mit dem ersten Bauabschnitt zur unterirdischen Verlegung des Luftkissendükers begann die Firma Sonntag Baugesellschaft mbH & Co. KG (Bingen) im Bereich der Theaterstraße Ende 2010. Es handelte sich um einen Stauraumkanal, für den HOBAS GFK-Vortriebsrohre DA 1720, PN 1 zum Einsatz kamen. Vor Beginn der Arbeiten untersuchte man den Baugrund nach Kampfmitteln aus dem Zweiten Weltkrieg und fand Brandbomben, welche der Kampfmittelräumdienst ordnungsgemäß entsorgte. Anfang 2011 konnten die ersten Arbeiten beendet und mit Hilfe eines 60 Tonnen schweren Großbohrgeräts Verbauträger in die Baugrube eingebracht werden. Anschließend stellte man den 365 m langen Stauraumkanal in einer Tiefe von ca. 7 m im Vortriebsverfahren her. Die Sonntag Baugesellschaft wählte hierzu eine vollmechanisierte, steuerbare, unbemannt arbeitende Vollschnittvortriebsmaschine mit flüssigkeitsgestützter Ortsbrust und hydraulischer Förderung. Die AVN – Bohrmaschine mit Außendurchmesser 1720 mm war mit einem Mischbodenschneidrad und nachgeschalteter Brechervorrichtung ausgestattet. Im Anschluss an den Vortrieb erfolgte die Verlegung eines weiteren Stauraumkanals bis unterhalb der Brühlstraße in offener Bauweise mit ca. 130 m HOBAS GFK-Rohren DA 1638, PN 1.
Im Mai 2011 erfolgte dann die Anlieferung des zweiten Großbohrgeräts mit einem Außendurchmesser von 2,40 m und einem Gewicht von ca. 36 Tonnen. Dieses war erforderlich um den eigentlichen Luftkissendüker unter den Flüssen aufzufahren. Der Rohrvortrieb erfolgte in noch größerer Tiefe von 15 m und auf einer Länge von ca. 483 m, die Bohrkrone musste sich dabei durch den Sandsteinfelsen der Enz und Nagold arbeiten. Hier kam ein Bohrkopf mit einem reinen Felsschneidrad, bestückt mit Felsdisken, zum Einsatz. Auf Grund der sehr starken Abrasivität des Sandsteines, war der Verschleiß an den Abbauwerkzeugen entsprechend hoch, so dass in Abständen von ca. 130 m die Schneidrollen durch eine Tür zur Ortsbrust ausgewechselt werden mussten. Hier wurden HOBAS Vortriebsrohre DA 2400, PN 2 eingesetzt und 4 Dehnerstationen im Düker installiert, wovon 3 aktiviert werden mussten. Parallel zur Startgrube wurde im Bereich der Stadtkirche die Zielgrube erstellt, wo der Bohrkopf nach Abschluss der Arbeiten im August 2011 zielgenau geborgen werden konnte. Die Zielgrube wurde anschließend 3,50 m tiefer ausgehoben, um die Dükerhäupter errichten zu können.
Um die stets aktuelle Beanspruchung der Vortriebsrohre zu beobachten, darzustellen und zu dokumentieren wurde das statische Kontrollsystem CoJack der S & P Consult GmbH installiert. Der Einbau und der Betrieb des zugehörigen Messsystems erfolgten durch die VMT GmbH. Die speziell dafür eingebaute Sensorik umfasste die Messung der Fugenspalte und der Rohrverkrümmungen an 2 Rohren hinter der Maschine, die Kräfte und Ausfahrungen an den Zwischenpressstationen und die Kraft an der Hauptpresse. Die Daten wurden stets direkt per Internet auf den Server der S & P Consult GmbH übertragen und grafisch aufbereitet in einem geschützten Bereich des Internets den jeweils zulässigen Grenzwerten gegenübergestellt. So konnten die Bauleitung, die Baufirma und insbesondere auch der Bauherr mit der entsprechenden Zugangsberechtigung den Vortrieb online auf dem eigenen Rechner beobachten und problemlos in statischer Hinsicht beurteilen. Über diese Online-Kontrolle wurde anschaulich und lückenlos nachgewiesen, dass die Rohre zu keinem Zeitpunkt überbeansprucht worden sind.
Mit Ende des Projektes ist der Enzdüker das größte Bauprojekt, welches der Eigenbetrieb Stadtentwässerung Pforzheim je ausgeführt hat. Beachtung fand es auch im Ausland. Internationale Fachbesucher kamen nach Pforzheim, um sich die Vortriebsarbeiten vor Ort anzuschauen und Erfahrungen auszutauschen.