Interimsleitungen aus duktilem Gusseisen sind optimal
11.03.2019
Sicher, wirtschaftlich, schnell eingebaut und wieder nutzbar
Bei der Erneuerung, der Renovierung oder auch der Reparatur von in Betrieb befindlichen Leitungen oder Kanälen stellt die temporäre Sicherstellung der Ver- bzw. Entsorgungssicherheit eine nicht zu unterschätzende ingenieurtechnische Aufgabe dar. In verzweigten Ortsnetzen der Trinkwasserversorgung kann zumeist durch Abschiebern des betroffenen Teilstücks und durch eine Umleitung der Wasserströme der betroffene Bereich vom Netz genommen werden.
Nach dem Neubau muss jedoch beachtet werden, dass die Zeitfenster für die Anbindung eines erneuerten Abschnitts klein sind. Häufig ist ein Abschiebern und Umleiten aber nicht möglich und es müssen unterirdisch (z. B. in Freispiegelkanälen) oder oberirdisch verlegte Leitungen, sogenannte „Fliegende Leitungen“ bzw. Interimsleitungen aufgebaut werden (interim: lateinisch = vorläufig, einstweilen), um die unterschiedlichen Medien während der Bauzeiten durch- bzw. überzuleiten.
Im normalen Sprachgebrauch werden diese Interimsleitungen oft als Provisorien angesehen. Treffender ist aber die Interpretation des Begriffs als temporäre ingenieurtechnische Bauwerke, die eigenständig geplant, gebaut und betrieben werden müssen.
Regelwerk und Praxisbeispiele
Allgemeine Anforderungen an die Planung, den Bau, den Betrieb und die Rückbaubarkeit von Interimsleitungen fehlen bisher, sodass technische Lösungen in der Regel für den jeweiligen Einzelfall erarbeitet wurden.
Hinweise zur Errichtung von oberirdischen Rohrleitungen sowie zu speziellen Anforderungen an oberirdisch aufgebaute Leitungssysteme finden sich in DVGW W 400-2, Kapitel 15.2 [1], EN 805 [2], Kapitel 5.4 (Schutz des Systems) sowie in dem Entwurf der prEN 598 [3].
Das Arbeitsblatt DVGW W 400-2 gilt für den Bau und die Prüfung von Wasserverteilungsanlagen für die Trinkwasserversorgung. Im Kapitel 15.2 werden ergänzende Anforderungen für die Errichtung oberirdischer Rohrleitungsanlagen dargestellt. Beschrieben werden Anforderungen an Rohrverbindungen, den Einbau der Rohrleitungskomponenten, Wärmeschutz, Korrosionsschutz usw. bis hin zur Druckprüfung und Inbetriebnahme. Bei der Planung von Interimsleitungen sind die dort beschrieben Anforderungen grundsätzlich zu beachten.
In der EN 805 [2] aus dem Jahr 2000 wird folgendes formuliert: Im Hinblick auf Terroranschläge, Vandalismus und andere gesetzwidrige Handlungen ist dem Schutz von Wasserversorgungssystemen große Aufmerksamkeit zu schenken. Erdverlegte Systeme sind im Allgemeinen sicher, oberirdischen Leitungsteilen ist dagegen besondere Beachtung zu schenken.
Als eine mögliche Folge wurde das Brandverhalten von Bauwerken als wesentliche Eigenschaft in die EU-Verordnung zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten aufgenommen. Dies betrifft auch Rohrsysteme, die in Zukunft in Brandklassen eingeordnet werden müssen [4].
Darüber hinaus liegen aber langjährige Erfahrungen beim Einsatz von duktilen Guss-Rohrsystemen als Interimsleitungen bei unterschiedlichen Netzbetreibern vor, die herangezogen werden können, um Anforderungen an Interimsleitungen zu formulieren.
Dokumentierte Beispiele sind:
- Der Aufbau einer Notversorgung auf dem Maifeld während des Umbaus des Olympiastadions in Berlin mit duktilen Gussrohren DN 250 und längskraftschlüssigen Muffen-Verbindungen BLS®. Dadurch, dass mit der BLS®-Verbindung Abwinklungen von 3,5° möglich sind, konnte die Interimsleitung entlang der gekrümmten Stadionwand eingebaut werden [5].
- Der Einsatz einer Interimsleitung DN 600 beim Zweckverband Fernwasser Südsachsen mit einer Länge von 2.000 m. Die duktilen Gussrohre und Formstücke wurden insgesamt dreimal eingesetzt, um die Sanierung eines insgesamt 6.000 m langen Leitungsabschnitts zu ermöglichen [6].
- Einbau und Wiederverwendung einer Interimsleitung DN 150 mit längskraftschlüssigen Muffen-Verbindungen BLS® zur Sicherstellung der Wasserversorgung der Ortsteile Eimelrod und Hemminghausen in der Gemeinde Willingen/Upland durch den Wasserbeschaffungsverband Upland [7].
Hinzu kommen zwei aktuelle Praxisbeispiele aus Leipzig und Berlin. Die Erfahrungen aus diesen Projekten können ebenfalls genutzt werden, um Anforderungen an Interimsleitungen zu formulieren.
Interimsleitung zwischen Wasserwerk Canitz und Rohrbrücke
Zwischen dem Fluss Mulde und dem Wasserwerk Canitz verläuft ein Hochwasserschutzdeich, der durch die Landestalsperrenverwaltung mit Spundwänden gegen zukünftige Hochwässer gesichert wird. Dies nahmen die Kommunalen Wasserwerke Leipzig zum Anlass, um zwei parallel verlaufende Fernleitungen DN 1000 aus Grauguss (GG), die die Stadt Leipzig mit Frischwasser aus den Wasserwerken Canitz und Thallwitz versorgen, mittels Einzug von duktilen Gussrohren DN 800 mit längskraftschlüssigen BLS®-Muffen-Verbindungen zu sanieren.
Die beiden Wasserwerke Canitz (Inbetriebnahme 1912) und Thallwitz (Inbetriebnahme 1943) speisen ihr Wasser in die beiden Stränge der 23 km langen Transportdoppelleitung in Richtung Leipzig ein. Der zu sanierende Abschnitt der Transportdoppelleitung befindet sich zwischen dem Leitungsknoten Thallwitz/Canitz in unmittelbarer Nähe des Wasserwerks Canitz und einer Rohrbrücke über den Fluss Mulde. Die Leitungen unterqueren dabei den Hochwasserschutzdeich.
Im ersten Schritt wurde eine Interimsleitung DN 800 mit BLS®-Muffen-Verbindungen zwischen dem Knoten Thallwitz/Canitz und der Rohrbrücke aufgebaut und in Betrieb genommen.
Nach der Inbetriebnahme der Interimsleitung wurde eine der beiden zu sanierenden Leitungen DN 1000 außer Betrieb genommen und die Rohre DN 800 eingezogen. Danach wurde die eingezogene Leitung in Betrieb genommen und die Interimsleitung zurückgebaut. Die Rohre und Formstücke der Interimsleitung wurden dann erneut genutzt, um die zweite Leitung DN 1000 zu sanieren.
Bei der erneuten Montage dieser Rohrleitung wurden die gebrauchten TYTON®-Dichtringe DN 800 gegen neue Dichtringe desselben Typs ausgetauscht. Die Interimsleitung hatte eine Länge von 208 m. Die Einzugsstrecke der Thallwitzer Leitung betrug 178 m bei einer Gesamtlänge von 199 m und die Länge der in die Canitzer Leitung eingezogenen Rohre betrug 185 m bei einer Gesamtlänge von 203 m.
In allen Fällen wurden Trinkwasserdruckrohre mit längskraftschlüssiger BLS®-Muffen-Verbindung DN 800 in der Wanddickenklasse K 9 mit Zementmörtelauskleidung (ZM-A) nach EN 545 und einem Zink/Aluminium Überzug mit 400 g/m² sowie einer blauen Epoxidharz Deckbeschichtung nach EN 545 und DIN 30674 eingesetzt. Außerdem wurden unterschiedliche Formstücke aus duktilem Gusseisen in der Nennweite DN 800 verbaut.
Die Anbindung der neu erstellten Leitungen erfolgte jeweils mit längskraftschlüssigen Formstücken und Armaturen an dem Knoten Thallwitz/ Canitz sowie auf der Westseite der Rohrbrücke.
Sanierung einer Abwasserdruckleitung in Berlin Tegeler Forst
Eine alte Abwasserdruckleitung (ADL) DN 1000 aus Asbestzement entlang des äußeren westlichen und nördlichen Zaunes des Flughafens Berlin Tegel sollte durch duktile Gussrohre DN 800 nach EN 598 mit längskraftschlüssigen BLS®-Muffen-Verbindungen erneuert werden. Dabei sollte die neue Leitung in der gleichen Trasse eingebaut werden. Das bedeutete, dass das Abwasser der alten ADL parallel durch eine oberirdisch gebaute Interimsleitung geleitet werden musste. Der Ausbau und die Neulegung der alten ADL erfolgten vor Kopf in mehreren Bauabschnitten.
Im ersten Bauabschnitt wurde ein ca. 870 m langer Abschnitt der Interimsleitung entlang eines Waldweges aufgebaut. Neben den Einbindungen aus Stahl am Anfang und am Ende der ADL wurden an abgehenden oder kreuzenden Wegen Rohrbrücken aus Stahlrohren eingesetzt, um im Brandfall Löschfahrzeugen den ungehinderten Zugang zum Forst zu ermöglichen.
Im 2. Bauabschnitt wurde zunächst die oberirdische Interimsleitung demontiert und gleich wieder am neuen Leitungsabschnitt montiert. Auf Grund der beengten baulichen Gegebenheiten in diesem Bauabschnitt war ein Aufbau der Interimsleitung parallel zur Trasse der ADL nicht möglich und die Leitung wurde entlang eines vorhandenen Forstwegs aufgebaut. Die Interimsleitung hatte nach dem Aufbau eine Länge von 1.300 m.
Während der gesamten Bauphase kam es zu keinen Störungen des Betriebes. Auch der Aufbau und die Demontage der Leitungen war gewohnt unkompliziert. Es ist geplant, die Rohre der Interimsleitung auch für die Sicherstellung der Vorflut im nächsten Bauschnitt erneut einzusetzen. Während des laufenden Betriebs der Interimsleitung durch den Forst Jungfernheide hat sich gezeigt, dass sich der in EN 805 formulierte Satz „oberirdischen Leitungsteilen ist dagegen besondere Beachtung zu schenken“ bewahrheitet hat, jedoch bei einer zukünftigen Überarbeitung der EN 805 mit einem Hinweis auf Auswirkungen aufgrund des Klimawandels ergänzt werden sollte.
Der konkrete Fall ereignete sich während des laufenden Betriebs der Interimsleitung. Das Stadtgebiet von Berlin war im Jahr 2017 mehrfach von den Auswirkungen lokaler Unwetterereignisse betroffen. Starkregen führte zu Überschwemmungen und Sturmböen deckten Dächer ab und entwurzelten Bäumen.
Beim vorerst letzten Sturm im Oktober 2017 wurden auch im Forst Jungfernheide dutzende Bäume entwurzelt und eine jahrzehnte alte Eiche stürzte auf die Interimsleitung. Bei dem Betreiber der Anlage kam es dadurch zu keinen Betriebsstörungen. Nachdem die Eiche von der Leitung entfernt worden war, zeigte sich wie erwartet, dass die Leitung aus robustem duktilem Gusseisen die schlagende Einwirkung durch den Baum ohne Schaden überstanden hat. Selbst Veränderungen an der Rohroberfläche waren nicht erkennbar.
Anforderungen an Interimsleitungen
Aufgrund der langjährigen Erfahrungen bei der Planung, dem Bau und dem Rückbau von Interimsleitungen aus Rohren, Formstücken und Armaturen aus duktilem Gusseisen können folgende allgemeine Anforderungen an oberirdisch gebaute Interimsleitungen formuliert werden:
- Wahl eines Rohrsystems bestehend aus Rohren, Formstücken und Armaturen
- robustes, nicht brennbares und diffusionsdichtes Rohrsystem, das einen hohen Widerstand gegen äußere Einwirkungen (z. B. Feuer und mechanische Belastungen) aufweist
- Lieferbarkeit in einem großen Nennweitenbereich
- gute Anlieferbarkeit auch unter engen Bauverhältnissen
- durchgehende schubsichere Verbindung aller Leitungsteile
- Möglichkeit einer flexiblen Leitungsführung, die sich z. B. den baulichen und/oder topographischen Gegebenheiten anpassen lässt
- schnelle, einfache und sichere Montage sowie Demontage auch unter schlechtesten Witterungsbedingungen (Minusgrade) ohne Zusatzaufwand
- Möglichkeit der Weiternutzung der Systemkomponenten nach Demontage ohne besondere Nachbearbeitung
- Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit
Interimsleitungen aus schubgesicherten Guss-Rohrsystemen
Für duktile Guss-Rohrsysteme sind Rohre, Formstücke und Armaturen in einem großen Nennweiten- und Druckbereich für unterschiedliche flüssige Medien wie z. B. Frischwasser (vgl. EN 545 [8]) oder Abwasser (vgl. EN 598 [9]) lieferbar. Die einzelnen Komponenten des robusten, nicht brennbaren und diffusionsdichten Rohrsystems sind während des Transports vor Verschmutzungen geschützt und können z. B. mit offenen LKW antransportiert und per Bagger entladen werden.
Die 6 m langen Rohre werden per LKW direkt auf die Baustelle geliefert und können leicht bei offenen Lastzügen per Bagger entladen werden. Die Rohre können dabei unkompliziert auf Hölzern gelagert werden, die dicht am Muffenbereich liegen sollten. Nach Einlegen des Dichtrings werden die Rohre mittels Verlegegerät/ Kettenzügen oder Baumaschine zusammengefügt.
Anschließend werden Riegel oder Haltesegmente über die Fensteröffnungen im Scheitel der BLS®-Muffe eingelegt, über dem Kreisumfang in der Schubsicherungskammer der Muffe vor der Schweißraupe des Spitzendes verteilt und anschließend kurz nachjustiert und die Verbindung kurz gereckt.
Danach kann die Rohrverbindung nennweitenabhängig horizontal und vertikal abgewinkelt werden, um den Leitungsverlauf an die Trasse anzupassen.
Im Fall von notwendigen Richtungswechseln, die über die Abwinkelbarkeit der Muffen-Verbindung hinaus gehen, kommen Muffen-Formstücke mit BLS®-Muffen-Verbindungen zum Einsatz. Bei Bedarf kann auf das vielfältige Flanschprogramm zurückgegriffen werden. Bei der Demontage werden die Rohrverbindungen leicht entspannt, und die Riegel oder Segmente der Schubsicherungen zum Fenster im Muffenscheitel hoch geschoben und dort entnommen. Sie kommen nicht mit dem Medium in der Leitung in Kontakt und können von außen vor der Muffe gehändelt werden.
Aber auch die Umweltverträglichkeit ist mit den allgemeinen Rahmenbedingungen ein Entscheidungskriterium. Ein robustes Guss-Rohrsystem birgt nicht nur die bereits erwähnte Sicherheit vor Havarien und Bränden. Die schnelle Montage einer punktuell aufgelagerten Interimsleitung und die geringe Baustelleneinrichtungsfläche beeinträchtigen die Fauna und Flora nur minimal. Geringe Lärmbelästigungen (keine Stromaggregate notwendig) und keine zusätzlich einzuhaltenden Brandschutzauflagen ergänzen die Argumentationsliste, sodass auch aus Sicht der Rechtsträger von Waldund Flurstücken duktile Guss- Rohrsysteme eingesetzt werden sollten.
Ausblick
Interimsleitungen sind temporäre ingenieurtechnische Bauwerke, die dazu dienen, während einer Bauphase die durch zu sanierende Leitungsbereiche fließenden Medien umzuleiten und so eine Sanierung zu ermöglichen. Allgemeine Anforderungen an die Planung, den Bau, den Betrieb, den Rückbau und die Wiederverwendbarkeit von Interimsleitungen fehlen und können zu Unsicherheiten bei Planern und Betreibern führen. Dies wird verstärkt durch die aktuelle politische Entwicklung (Terrorgefahr), die Auswirkungen des Klimawandels sowie durch veränderte Anforderungen an Rohrsysteme (Brandverhalten).
Vor diesen Hintergründen wurden auf Basis von Erfahrungen Anforderungen an Interimsleitungen formuliert, die z. B. in eine zukünftige Regelwerksarbeit einfließen können.
Autor
Literatur
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