Drehstromnetzausbau durch Minimaltrassen mit Notbetriebskühlung

15.03.2018

--- Autor: Prof. Dr.-Ing. habil. Heinrich Brakelmann, Geschäftsführer, BBC Cable Consultung, Rheinberg. --- Erstveröffentlichung: ew - Magazin für die Energiewirtschaft, 11/17

Bild 1. Vergleich der Amprion-Trasse in Raesfeld
mit einer Minimaltrasse; Foto: Trasse
Raesfeld mit Baustraße und linker Trassenhälfte.
[Quelle: BCC Cable Consulting]

Die aktuelle Umstrukturierung der deutschen Energieversorgung mit sich verstärkender Diskrepanz zwischen Erzeugungs- und Verbrauchsschwerpunkten erfordert umfangreiche Maßnahmen zum Netzausbau. Netzentwicklungsplan und Bundesbedarfsplangesetz beschreiben die technischen und zeitlichen Rahmenbedingungen dieser Maßnahmen, deren Schwerpunkte einerseits mit dem Bau leistungsstarker Nord-Süd-Verbindungen in Gleichstromtechnik und andererseits mit dem Bau und/oder Umbau vieler 400-kV-Drehstromtrassen beschrieben sind.

Während bei den Gleichstromtrassen inzwischen per Gesetz der Realisierung durch Erdkabel der Vorzug gegeben wird, sind viele der geplanten Drehstromtrassen im Bundesbedarfsplangesetz mit der Möglichkeit von Pilotvorhaben für die Erdverkabelung ausgewiesen. Bisher sind es erst wenige Kilometer, auf denen Teilverkabelungen mit 400-kV-Kabeln realisiert wurden.

Ein Beispiel ist ein vom Netzbetreiber Amprion GmbH in Betrieb genommener Kabelabschnitt von rund 3,5 km Länge im Bereich Raesfeld [1], über den mit vier Kabelsystemen, das heißt zwölf Kabeln, verlegt in Kunststoffrohren, eine Leistung von 1 800 MVA gesichert übertragen wird.

Eine solche Einebenenanordnung der Kabel setzt breite Kabelgräben und einen entsprechenden Eingriff in den Boden voraus, verbunden mit der Forderung nach Separation und schrittweiser Wiederverfüllung von Grabenbereichen mit unterschiedlicher Bodenstruktur. Die Trassenbreite betrug beim Amprion-Projekt in der Bauphase mehr als 40 m (Bild 1). Die unmittelbare Kabelumgebung wurde verfüllt mit recyceltem Flüssigboden. Weitere Folgen dieses Konzepts sind die Beeinträchtigung und notwendige Wiederherstellung großer Oberflächenbereiche1, ein relativ langsamer Baufortschritt sowie eine vergleichsweise erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeit aufgrund der großen Zahl von Kabeln, Muffen und Endverschlüssen.

1Die minimale Trassenbreite ohne die Baustraße in der Mitte liegt bei rund 14 m.

Minimaltrassenkonzept

Nachfolgend wird alternativ das Konzept einer Minimaltrasse mit nur zwei statt vier Kabelsystemen und eines hierdurch möglichen minimalen Trassenvolumens vorgeschlagen, das gegenüber der beschriebenen Bauweise entscheidende Vorteile und einen extrem verminderten Aufwand aufweist.

Eine vorteilhafte Variante dieses Konzepts besteht in einer Mantelrohrkonstruktion nach Bild 2 mit integriertem Drehstromkabelsystem und der Möglichkeit einer Notbetriebskühlung: nach Einbringen des Mantelrohrs aus Stahl oder Kunststoff mit einem der unten genannten Bauverfahren werden drei Kunststoffrohre eingezogen und der Zwischenraum mit hochwärmeleitfähigem Material – zum Beispiel Cable-Cem [2] – verfüllt, um anschließend die Kabel einzuziehen. Da das vorgestellte Konzept eine Notbetriebskühlung vorsieht, werden die Kunststoffrohre mit Wasser gefüllt. Wie nachstehend gezeigt wird, sind zur Erfüllung der zu erwartenden Übertragungsaufgaben nur zwei statt vier Drehstromsysteme erforderlich.

Außer der konventionellen Bauweise – Aushub eines schmalen Kabelgrabens und Legung der Mantelrohre – bieten sich vor allem die modernen Bohrverfahren an: das halboffene Pipe-Express-Verfahren für ländliche Bereiche [3, 4] und das geschlossene Direct-Pipe-Verfahren für urbane Siedlungsgebiete [4]. Die Arbeitsgeschwindigkeiten dieser Bohrpressverfahren sind mit weit über 100 m je Tag sehr hoch. Kunststoffmantelrohre können mit dem neuen EPower-Pipe-Verfahren [4] eingebracht werden.

Bild 2. Anordnung zweier Mantelrohrkabel;
Mantelrohre verfüllt mit hochwärmeleitfähigem
Material [2]. [Quelle: BCC Cable Consulting]

Die Kabelanlage wird so ausgelegt, dass der (n – 1)-sicher zu übertragende Strom im Normalbetrieb von den beiden Kabelsystemen ohne die Zwangskühlung dauerhaft geführt werden kann. Nur in den sehr seltenen Fällen einer langen Störung wird die Notbetriebskühlung benötigt und ermöglicht jedem Kabelsystem, dauerhaft den Nennstrom zu führen. Ein redundant ausgelegtes Kühlsystem in Kombination mit der thermischen Trägheit der Kabel sorgt dafür, dass die Notbetriebskühlung rechtzeitig und ohne Verschlechterung der Verfügbarkeit zur Verfügung steht. Entscheidend für die Leistungsfähigkeit, Vorteilhaftigkeit und Zuverlässigkeit dieses Systems ist daher, dass

  • die Kabel die gesicherte Übertragungsleistung auch ohne Zwangskühlung beherrschen

  • das Kabelsystem seine thermische Stabilisierung innerhalb des Mantelrohrs hat, sodass der umgebende Boden nicht verändert werden muss

  • die Zwangskühlung nur in den äußerst seltenen Notbetriebssituationen – zum Beispiel bei Ausfall eines Kabelsystems, das heißt statistisch alle 30 bis 60 Jahre – und gegebenenfalls noch in geplanten Intervallen zur thermischen Bodenentlastung und/oder zur Wärmerückgewinnung betrieben wird

  • große Abstände zwischen den Kühlstationen möglich sind, sodass die zu erwartenden Trassenlängen von Teilverkabelungsabschnitten mit einer einzigen Kühlstation abgedeckt werden können.

Als maximal anzustrebende Übertragungsleistung wird nachfolgend von rund 2 500 MVA beziehungsweise von einem (n – 1)-sicheren Übertragungsstrom von 3 600 A ausgegangen, was der Basisannahme in [10] entspricht. Dies ist auch die vom Netzbetreiber Tennet benannte Standardleistung der 400-kVTrassen und entspricht der thermischen Grenzleistung einer Freileitung mit Viererbündeln 4×435/55.

Ausführungsvarianten

Bild 3. Einebenenanordnung eines
Drehstromdoppelsystems mit
Reservekabel (RA);der Durchmesser der
Kunststoffrohre beträgt 300/250 mm.
[Quelle: BBC Cable Consulting]
 

In der Mantelrohranordnung nach Bild 2 ist zur Erhöhung der Betriebssicherheit jedem Kabelsystem ein Reservekabel (RA) beigefügt, sodass im Fehlerfall nach Abschaltung des Kabelsystems an beiden Enden der Kabeltrasse in den Übergangsfeldern eine schnelle Umschaltung und Wiederinbetriebnahme des betroffenen Kabelsystems möglich ist. Dies ist – in Kombination mit der Rohrverlegung der Kabel – das Power-Tubes-Prinzip [3, 5], mit dem die Verfügbarkeit der Kabelanlage vergleichbar wird zur angeschlossenen Freileitung.

Als Alternative zur Anordnung in Bild 2 ist in Bild 3 eine in offener Bauweise ausgeführte Einebenenanordnung des Kabeldoppelsystems mit einem Reservekabel in der Mitte zu sehen. Bei einem Achsabstand der Kabel von sK = 0,50 m im Kabelsystem und von sS = 1,00 m zwischen den Kabelsystemen wird eine Breite des thermisch stabilisierten Bereichs von rund 4,60 m und eine Höhe von rund 0,75 m erforderlich.

Beide Varianten nach Bild 2 und 3 erfordern aufgrund der Umschaltmöglichkeiten, abweichend vom normalen Cross-Bonding, eine besondere Behandlung der Kabelschirme. Zudem bestehen beim Austausch einer defekten Kabelader und dem Setzen von Verbindungsmuf-fen verhältnismäßig geringe Abstände zu den sich in Betrieb befindenden Kabeln, sodass gegebenenfalls kurzzeitige, aber planbare Abschaltungen erforderlich sind.

Diesen Problemen kann durch Anordnungen nach Bild 4, 5 und 6 begegnet werden. Wie in [9] ausführlich begründet, ist beim Übergang von zwei Freileitungssystemen auf zwei Kabelsysteme eine Verstärkung über ein drittes, parallel betriebenes Kabelsystem nicht sinnvoll, wenn aufwendige Schaltfelder mit Leistungsschaltern in den Übergangsfeldern vermieden werden sollen. Da aber im vorliegenden Fall sowohl die Übertragungsleistung der beiden Kabelsysteme im Normalbetrieb ohne Zwangskühlung als auch diejenige des einzelnen Kabelsystems im Notbetrieb mit Zwangskühlung ausreicht, bietet sich eine Minimaltrassenvariante mit einem dritten, im Stand-by betriebenen Kabelsystem an.

Bild 4. Power-Tubes-Kabelanlage mit
Reservesystem. [Quelle: BCC Cable Consulting]
Bild 5. Einebenenanordnung eines
Drehstromdoppelsystems mit Reservesystem (RS);
der Durchmesser der Kunststoffrohre beträgt
300/250 mm. [Quelle: BCC Cable Consulting]

In Bild 4 ist die Anordnung von drei dreiadrigen Mantelrohrkabeln, die jeweils zum Beispiel mit einem der in [4] beschriebenen Bohrpressverfahren beeinflussungsarm in den Boden eingebracht werden können, dargestellt. Im Fall des Ausfalls eines der beiden äußeren, sich in Betrieb befindenden Kabelsysteme wird dieses nach Bild 7 mit Trennschaltern ab- und das Reservesystem zugeschaltet.

Wie nachfolgend gezeigt wird, ist für diese Betriebssituation keine Kühlung erforderlich. Wird aber mit Eintritt dieses ersten Fehlers die Kühlung in Betrieb genommen, so wird auch ein während der Reparaturphase eintretender, zweiter Fehler beherrscht, da dann das verbleibende Kabelsystem noch immer die Nennleistung übertragen kann.

Bild 6. Leitungsgang mit drei Kabelsystemen;
Innendurchmesser zum Beispiel 2,60 m.
[Quelle: BCC Cable Consulting]

 

Werden die Kabel in Siedlungsgebieten oder bei Unterquerung eines Flusses oder einer breiten Straße in einen begehbaren Leitungsgang eingebracht, so ergibt sich eine Anordnung wie in Bild 6, die einen sehr kleinen Innendurchmesser von beispielsweise nur 2,60 m ermöglicht. Die vorgeschlagene gekapselte Unterbringung der Kühlrohre und Kabel gestattet eine uneingeschränkte Begehbarkeit des Leitungsgangs auch während des Betriebs. Werden zunächst die Kühlrohre in die Kapselung eingebracht und die Zwischenräume mit hochwärmeleitfähigem Material vergossen, so werden die sonst in Kabeltunneln üblichen, aufwendigen Haltegestelle mit Einziehrollen entbehrlich.

Der Leitungsgang wird bei dieser Anordnung im Normalbetrieb mit Belüftung, aber ohne Zwangs-(Wasser-)kühlung betrieben. Wie auch bei den beiden anderen Anordnungen wird die Zwangskühlung erst im Notbetrieb in Betrieb genommen.

Die Trennschalter nach Bild 7 können, wie in [5] vorgeschlagen, zusammen mit den Kabelendverschlüssen in platzsparenden und preiswerten unterirdischen Kompaktanlagen untergebracht werden. Damit wird eine rasche Umschaltbarkeit mit der nachfolgend gezeigten hohen Verfügbarkeit erreicht. Kenngrößen einer solchen Kompaktanlage sind: Reduktion des Flächenbedarfs um mehr als 2 000 m2 bei Freiluftausführung auf rund 200 m2. Die oberirdischen Aufbauten sind reduziert auf sechs Durchführungen und sechs Überspannungsableiter im Bereich des Freileitungsendmasts oder -portals.

Bild 7. Übergang von zwei Freileitungssystemen
auf zwei Kabelsysteme mit Reservesystem;
die Übergangsfelder können platzsparend als
unterirdische Kompaktanlagen ausgeführt
werden. [Quelle: BCC Cable Consulting]
Grundsätzlich bietet die Anordnung nach Bild 4, 5 und 6 folgende betriebliche Vorteile: Die Reparatur eines Kabelfehlers kann bei allen hier gezeigten Anordnungen durch Abschalten des Kabelsystems, Auftrennen der betroffenen Kabellänge an beiden Enden an den Verbindungsmuffen, Herausziehen aus dem Kunststoffrohr und Einziehen einer Ersatzlänge vorgenommen werden. Bei den zuvor diskutierten Anordnungen mit vier Kabeln im Mantelrohr besteht das Problem, diesen Kabeltausch und die Erstellung zweier neuer Verbindungsmuffen in großer Nähe zum noch in Betrieb befindlichen Kabelsystem vornehmen zu müssen.

Gegebenenfalls muss hierzu das betroffene Kabelsystem während kritischer Montagevorgänge abgeschaltet werden. Diese Abschaltzeiten können allerdings ohne betriebliche Nachteile so gewählt werden, dass sie in prognostizierte Schwachlastzeiten fallen, während derer das verbleibende Kabelsystem die Übertragungsaufgabe sicher erfüllt.

Bei der Power-Tubes-Kabelanlage mit Reservesystem nach Bild 4, 5 und 6 besteht dieses Problem nicht: Hier wird im Fehlerfall das gesamte Kabelsystem vom Netz getrennt, sodass die Reparatur an ihm problemlos, unverzögert und ohne Abschaltungen ausgeführt werden kann. Hinzu kommt, dass bei dieser Konstellation alle drei Kabelsysteme in jeder Betriebssituation mit festem, unveränderten Cross-Bonding der Kabelschirme betrieben werden können.

Belastbarkeiten bei natürlicher Kühlung

Bild 8. Strombelastbarkeiten des ungekühlten
Kabeldoppelsystems nach Bild 2 bis 6 mit den
Achsabständen im System und zwischen den Systemen
als Parameter; blau: Kabelsystem 1; grün: Kabelsystem 2;
rot: beide Kabelsysteme mit Kühlung; Belastungsgrad m = 0,80;
Legetiefe 1,80 m. [Quelle: BCC Cable Consulting]
Erwärmungs- und Belastbarkeitsberechnungen werden an anderer Stelle [6] ausführlicher dargestellt. Wichtige Ergebnisse werden nachfolgend diskutiert.

Hierzu zeigt Bild 8 die Strombelastbarkeit eines ungekühlten Kabeldoppelsystems bei unterschiedlichen Anordnungen nach Bild 2 bis 6. Die an der Abszisse eingetragenen Parameter sind der Achsabstand sK der Kabel im System sowie der Achsabstand sS zwischen den Systemen. Die Legetiefe (Achse) der Mantelrohre beziehungsweise der Kühlrohre beträgt 1,80 m. Der Belastungsgrad ist zu m = 0,80 definiert. Es wird ein homogener Erdboden mit einer Wärmeleitfähigkeit von 1,0 W/ ( K · m) und eine Umgebungstemperatur von 15 °C vorausgesetzt.

Für die definierte Übertragungsaufgabe eines hohen maximalen Laststroms von 3 600 A (2 494 MVA) werden 400-kV-Einleiterdrehstromkabel mit einem Kupferleiterquerschnitt von 2 500 mm2 erforderlich (Kabeldurchmesser rund 140 mm). Deutlich wird, dass bei allen diskutierten Anordnungen der geforderte Laststrom von den beiden ungekühlten Kabelsystemen sicher und auf Dauer geführt werden kann. Wie der Vergleich mit Bild 9 verdeutlicht, ist dies selbst bei Vorgabe eines unrealistischen Belastungsgrads von m = 1,0 (Dauerlast) näherungsweise gegeben.

Bild 9. Wie Bild 8, mit Belastungsgrad
m = 1,0. [Quelle: BCC Cable Consulting]
Die beiden roten Balken in Bild 8 und 9 weisen aus, dass bei Einsatz der Zwangskühlung jedes der beiden Kabelsysteme die Nennlast von 3 600 A führen kann. Dies wird im folgenden Abschnitt weiter ausgeführt.

Belastbarkeiten bei Zwangskühlung

Das hier vorgestellte Minimaltrassenkonzept sieht vor, dass die Zwangskühlung der Anlage nur in zwei Situationen zwingend in Betrieb genommen wird:

  • Fehler im Kabelsystem. Statistisch tritt dies etwa alle 30 bis 60 Jahre auf. Bei der vorgestellten Power-Tubes- Auslegung wird dieser Fehler durch rasche Umschaltung (Dauer mit Lasttrennschaltern liegt im Minutenbereich) behoben, sodass die Kühlung noch nicht gebraucht wird. Um mindestens eine (n – 2)-Sicherheit zu gewährleisten, wird aber mit der Kabelumschaltung auch die Inbetriebnahme des Kühlsystems (ohne Zeitdruck) angegangen.

  • Langdauernder, mehrtägiger Ausfall von Parallelstrecken im Verbundnetz. Dieser Fall ist sehr unwahrscheinlich, da normalerweise im Stundenbereich ein entlastendes Redispatch des Netzes vorgenommen wird. Auch in diesem Fall würde nach Überschreiten der Nennlast das Kühlsystem in Betrieb genommen werden, sodass auch diese Betriebsweise auf Dauer und – aufgrund der Reservekabel – mit bestehender Fehlertoleranz gesichert ist.

Zusätzlich zu diesen beiden Notbetriebssituationen kann es sinnvoll sein, die Kühlanlage zeitweise zu betreiben, um einerseits die Kabelumgebung thermisch zu entlasten – das heißt dem Boden wieder Wärme zu entziehen – und um andererseits die momentane Funktionsfähigkeit der Kühlanlage zu überprüfen. Wenn sich Wärmeabnehmer in Trassennähe befinden, so ist durch Wärmepumpenbetrieb der Kühlstation, das heißt Anhebung des Temperaturniveaus des Kühlwassers, eine Wärmerückgewinnung möglich, wobei der Boden thermisch entlastet und zugleich geothermische Energie gewonnen wird.

In Bild 10 ist die Strombelastbarkeit I eines zwangsgekühlten 400-kV-Kabelsystems nach Bild 2 bis 6 mit 2 500-mm2-Cu- oder -Al-Leitern als Funktion der höchsten Kühlwassertemperatur θw zu sehen. Die Kabel liegen in Kunststoffrohren mit den Abmessungen 300 mm/250 mm. Deutlich wird anhand zweier typischer Anforderungen, dass

  • eine Leistung von rund 2 500 MVA (3 600 A) von einem Kabelsystem mit 2 500-mm2-Kupferleitern bei einer höchsten Kühlwassertemperatur von rund 22 °C und

  • eine Leistung von 1 800 MVA (2 600 A) von einem Kabelsystem mit 2 500-mm2-Aluminiumleitern bei einer höchsten Kühlwassertemperatur von weniger als 40 °C

Bild 10. Strombelastbarkeit eines
zwangsgekühlten Kabelsystems als
Funktion der höchsten Kühlwassertemperatur
θw; 400-kV-Kabel mit 2 500-mm2-Kupfer- oder
-Aluminiumleitern. [Quelle: BCC Cable Consulting]
als Dauerlast übertragen werden kann. Weitere Berechnungen zeigen, dass für die gegebenen Kabelverluste bei Druckdifferenzen zwischen 5 und 10 bar die Wasserströmung über Kühlabschnittslängen von rund l0 = 7,5 … 10 km durch zwei Rohre hin- und zurückgeführt werden kann (tatsächliche Strömungslänge also 2 · l0), ohne dass die nach Bild 10 einzuhaltenden Kühlwassererwärmungen überschritten werden. So kann der in Bild 10 für 3 600 A gezeigte Betriebspunkt erreicht werden, indem bei einer Kühlabschnittslänge von 10 km das mit 10 °C an der Kühlstation in ein Kühlrohr eintretende Kühlwasser mit einer höchsten Temperatur von 22 °C aus dem zweiten Kühlrohr wieder austritt. Demnach lassen sich mit einer Kühlstation in der Trassenmitte Kabellängen von 15 bis 20 km überbrücken.

Kosten und Verfügbarkeit der Kühlanlage

Das in den Kühlrohren längs der Kabelanlage erwärmte, umlaufende Kühlwasser muss am Ende der Kühlstrecke von einer Kühlstation zu einer bestimmten Temperatur abgekühlt und danach wieder mit Umwälzpumpen in die Kühlungsrohre eingespeist werden. Eine typische Kühlanlage besteht aus Verdichter, Wärmeübertrager und Regeleinheit.

Bei Kühlanlagen dieser Anwendung werden Primär- und Sekundärkreislauf durch Wärmeübertrager getrennt. Das Kühlwasser im Kabelkreislauf muss entsprechend aufbereitet, das heißt entkalkt, sulfatiert und gegen Keimbildung behandelt werden. Die Kühlung der Kabelmuffen kann mit parallel geführten Wasserrohren vorgenommen werden, mit denen der Kühlkreislauf über die Muffenbereiche weiter fortgesetzt wird.

Bei größeren Kühlmaschinen mit einer Kühlleistung > 500 kW werden Schraubenverdichter eingesetzt. Die Verluste in der Kühlstation sind mit rund 30 % der weggekühlten Leistung zu veranschlagen. Werden im Höchstlastfall 50 % der Kabelverluste vom Kühlsystem aufgenommen, so beträgt die Kühlleistung rund 15 % der Kabelverluste. Werden andererseits die Kabeltemperaturen im Betrieb durch die Kühlung um 20 K gesenkt, so sinken die Kabelverluste um rund 8 %, sodass die Kühlung insgesamt verlustarm arbeitet. Außerdem ist bei Außentemperaturen < 5 °C ein free-cooling möglich, bei dem nur noch die geringen Lüfterverluste anfallen.

Die Kosten der Kühlanlagen mit Einhausung können bei redundanter Auslegung – drei statt zwei Kühlaggregate – und bei den vorliegenden Kühlleistungen rund 60 000 €/km betragen. Für die Wartungskosten der Kühlanlage können jährlich rund 1 bis 3 % der Anschaffungskosten gerechnet werden, das heißt rund 2 000 €/(km · a). Beide Kostenfaktoren spielen damit bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen nur eine untergeordnete Rolle.

Bild 11. Verlauf der Leitertemperaturen
in einem 380-kV-VPE-Kabelsystem
(Kupferleiterquerschnitt 2 500 mm2) nach
vorangegangener Volllast in einem Doppelsystem
und Ausfall des zweiten Kabelsystems [7].
[Quelle: BCC Cable Consulting]
Häufig wird befürchtet, dass Kühlsysteme nicht die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit von Kabeln erreichen, sodass deshalb nach Möglichkeit von zwangsgekühlten Kabelanlagen Abstand genommen wird. Diese Befürchtung zur betrieblichen Nichtverfügbarkeit trifft dann zu, wenn das Kabelsystem während des Normalbetriebs in Höchstlastzeiten auf die Zwangskühlung angewiesen ist. Dies sieht jedoch anders aus, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Kabelanlage so ausgelegt ist, dass sie im Normalbetrieb auch ohne die Kühlanlage auskommt und diese nur im Störungsfall benötigt wird, der unter statistischen Aspekten äußerst selten – im Abstand mehrerer Jahrzehnte – auftritt.

Auch zur Überprüfung ihrer Funktion kann die Kühlanlage im Normalbetrieb dazu eingesetzt werden – sie muss es aber nicht –, die Kabel- und Bodentemperaturen niedrig zu halten, um damit beispielsweise eine partielle Bodenaustrocknung zu verhindern oder auch, um die Kabelverluste und die Kabeltemperaturen zu vermindern.

Bild 12. Jährliche Nichtverfügbarkeit tNV eines
Freileitungssystems (OHL, grau) und eines
erdverlegten Kabelsystems ohne Reservekabel
(blau) beziehungsweise im Stahlrohr mit Reservekabel
(PowerTubes PTS, grün); Parameter: Umschaltdauer tU.
[Quelle: BCC Cable Consulting]
Damit kann die Kühlanlage auch während des Normalbetriebs kontinuierlich überwacht und bei Bedarf gewartet werden. Zur Erzielung einer hohen Verfügbarkeit ist bei zwei Kabelsystemen anzustreben, diese jeweils mit einem eigenen Kühlaggregat zu versorgen und ein drittes Kühlaggregat als Redundanz mit entsprechender Umschaltbarkeit vorzusehen.

Selbst wenn dann der sehr unwahrscheinliche Fall auftreten sollte, dass ausgerechnet in einer Wartungsphase des Kühlaggregats eines Kabelsystems das andere Kabelsystem ausfällt, so bietet die thermische Trägheit der Kabel (über mehrere Tage) die Möglichkeit, dieses oder aber das redundante Kühlaggregat rechtzeitig wieder in Betrieb zu nehmen.

Ein Beispiel zu diesem Fehlerfall, in dem ein Kabelsystem ausfällt und das zweite Kabelsystem die Nennlast ohne Zwangskühlung übernehmen muss, ist in Bild 11 wiedergegeben [6]. Es wird deutlich, dass in einem solchen Störungsfall für Maßnahmen wie die Inbetriebnahme eines Kühlaggregats oder das Umschalten auf ein anderes Kühlaggregat, das Umschalten auf ein Reservekabel erhebliche Zeiten von mehreren Tagen zur Verfügung stehen. Unter diesen Aspekten lassen sich durchaus zwangsgekühlte Kabelanlagen mit sehr hoher Verfügbarkeit realisieren.

Verfügbarkeiten der Kabelanlage

Bild 13. Redundanzverhalten zweier
Mantelrohrkabel mit Reservekabeln bei
der Übertragung von 3 600 A/2 500 MVA gesichert;
dunkelblau: mit Zwangskühlung.
[Quelle: BCC Cable Consulting]

Die Ausfallraten unterschiedlicher Drehstromkabel wurden von der Cigré-Working Group B1-10 weltweit gesammelt,diskutiert und publiziert [8]. Basierend auf diesen Daten zeigt Bild 12 die jährliche Nichtverfügbarkeit tNV eines Freileitungssystems (OHL, grau) sowie eines erdverlegten Kabelsystems ohne Reservekabel (blau) beziehungsweise im Mantelrohr mit Reservekabel (grün). Parameter ist die Umschaltdauer tU. Trotz logarithmischer Darstellung verdeutlicht diese Abbildung, dass

  • die Verfügbarkeit eines konventionellen Kabelsystems weitaus geringer ist als die einer Freileitung (Faktor 81)

  • durch Einsatz des Power-Tubes-Prinzips (Reservekabel mit Umschaltmöglichkeit) die Verfügbarkeit des Kabelsystems entscheidend heraufgesetzt wird und sogar die Verfügbarkeit des Freileitungssystems übersteigt.

Am Beispiel der Anordnung nach Bild 2 zweier Kabelsysteme im Mantelrohr, jeweils mit Reservekabel, macht Bild 13 deutlich, dass mit zwei Kabelsystemen – die erst im Störungsfall zwangsgekühlt werden – eine gesicherte Übertragung von 3 600 A/2 500 MVA mit extremer (n – 3)-Sicherheit möglich ist. Deutlich wird, dass mit dem ersten Fehler und Umschalten auf das Reservekabel die Zwangskühlung eingeschaltet und damit ein Übertragungsvermögen von 2×3 600 A/5 000 MVA ermöglicht wird, woraus letztlich die (n – 3)-Sicherheit folgt.

Bild 14. Redundanzverhalten bei der
Übertragung von 3 600 A/2 500 MVA gesichert.
Der Zustand 3 kann sich nur nach kurzer
Abschaltung während der Kabelumschaltungen
einstellen. [Quelle: BCC Cable Consulting]
Wird der Aufwand durch die in offener Bauweise ausgeführte Einebenenanordnung des Kabeldoppelsystems nach Bild 3 mit einem Reservekabel in der Mitte minimiert, so stellt sich der Ablauf bei mehreren Fehlern etwas anders dar, wie dies in Bild 14 zu sehen ist. Der Normalbetrieb ist hier durch ein Übertragungsvermögen von 4 028 A gekennzeichnet. Auch hier wird nach dem ersten Fehler (wieder im linken System angenommen) das Reservekabel umgeschaltet und die Kühlung in Betrieb genommen. Das Übertragungsvermögen steigt damit auf 2×3 600 A/5 000 MVA.

Nach dem zweiten Fehler ist nur noch ein Kabel in Betrieb mit einem Übertragungsvermögen von 3 600 A/2 500 MVA. Der dritte Fehler kann nur durch kurzzeitige Abschaltung der Kabelanlage (im Minutenbereich, bis zur Umschaltung des Reservekabels) beherrscht werden. Hier liegt zumindest (n – 2)-Redundanz vor, mit der Möglichkeit, auch nach einem dritten Fehler sehr rasch mit der Kabelanlage wieder in Betrieb zu gehen.

Folgerungen

Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich vielfältige Vorteile einer Minimaltrassenausführung von Power- Tubes-Kabelanlagen mit Notbetriebskühlung ableiten, die nachfolgend aufgeführt sind:

  • Die Kabelanlage kann sowohl in offener Bauweise als auch mit Bohrverfahren realisiert werden.

  • Es werden während der Bauphase beim halboffenen Bohrverfahren nur ein oder zwei schmale Kabelgräben (rund 2 · 0,5 m Breite) für den Aushub benötigt. Beim geschlossenen Bohrverfahren (Direct-Pipe, E-Power-Pipe) bleibt die Trassenoberfläche bis auf die Gruben für das Bohrverfahren unberührt.

  • Die Arbeitsgeschwindigkeit zur Erstellung der Kabeltrasse mit Bohrverfahren ist sehr hoch.

  • Die Kabelkosten sind geringer als bei der konventionellen Ausführung.

  • Die Baukosten sind geringer als bei der konventionellen Ausführung.

  • Die Mantelrohre – vor allem Stahlrohre – bieten den Kabeln einen hervorragenden mechanischen Schutz. 

  • Demzufolge darf die Trasse auch in Kabelnähe bepflanzt werden.

  • Bei Anordnung der Kabel im Stahlmantelrohr wird das Magnetfeld in Trassennähe sehr herabgesetzt. Damit ist eine erhöhte Akzeptanz, vor allem bei der Querung von Wohngebieten, gegeben.

  • Die Zwangskühlung bietet die nachhaltige Möglichkeit der thermischen Entlastung der Kabelumgebung sowie der Wärmerückgewinnung.

  • Im Normalbetrieb wird keine Kühlung benötigt. Durch redundante Auslegung der Kühlanlage muss keine Verringerung der Verfügbarkeit befürchtet werden.

  • Durch die Möglichkeit der Zwangskühlung sind im Notbetrieb auf Dauer sehr hohe Übertragungsleistungen möglich.

  • Kabelfehler können durch Austausch einer Kabellänge von den Muffenstellen her beseitigt werden.

  • In sensiblen Gebieten können die Mantelrohre oder ein Leitungsgang im geschlossenen Bohrverfahren in nahezu beliebiger Tiefe unter Nutzung von Infrastrukturen wie Straßen, Wegen und Gleiskörpern, das heißt ohne zusätzlichen Trassenbedarf, eingebracht werden.

  • Da die Kabelanlage im Bau rasch und nahezu ohne Beeinträchtigungen der Umgebung errichtet werden kann und im Betrieb beeinflussungsarm ist, sind weniger Probleme beim Genehmigungsverfahren und eine schnellere Realisierung zu erwarten.

  • Die Investitionskosten können, je nach Ausführung, gegenüber der konventionellen Ausführung erheblich reduziert werden.

  • Durch die Power-Tubes-Ausführung, das heißt durch Einsatz schnell umschaltbarer Reservekabel, vergrößert sich die Verfügbarkeit des Kabelsystems gegenüber der konventionellen Lösung um mehr als zwei Zehnerpotenzen und liegt damit sogar höher als die eines Freileitungssystems. Das Übertragungssystem bietet, je nach Ausführung, (n – 2)- oder sogar (n – 3)-Sicherheit.

  • Die Übergangsfelder Freileitung/Kabel werden durch die verringerte Kabelanzahl deutlich verkleinert, so dass auch hier eine bessere Akzeptanz zu erwarten ist. Besonders die im Power- Tubes-Förderprojekt [5] vorgeschlagenen unterirdischen Übergangsfelder in Kompaktbauweise mit schneller Umschaltmöglichkeit der Reservekabel können sehr platzsparend und beeinflussungsarm realisiert werden.

  • Die verminderte Zahl von Kabeln verringert nicht nur die dielektrischen Verluste, sondern sie halbiert vor allem auch die kapazitive Belastung des Netzes, die mit zunehmendem Verkabelungsgrad unter Stabilitätsaspekten kritisch gesehen wird. Die kritische Länge von Teilverkabelungen im Netz könnte unter diesem Aspekt verdoppelt werden.

Dies sind viele, aber sicher noch nicht alle Vorteile der vorgeschlagenen Minimaltrassenausführung. Die generell durchaus verständlichen Bedenken der Netzbetreiber gegenüber dem betrieblichen Mehraufwand und der möglicherweise verringerten Verfügbarkeit von Kabelanlagen mit aktiver Kühlung können durch die geschilderten vorteilhaften Betriebsparameter und durch die die Zuverlässigkeit entscheidend vergrößernden Maßnahmen stark relativiert werden, wenn ihnen die erzielten Vorteile zum Beispiel hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Beeinflussungsminimierung sowie der schnellen Realisierbarkeit im Hinblick auf Bauausführung und Akzeptanz gegenübergestellt werden.

Vor allem die geringe Raumforderung möglicher Minimaltrassen eröffnet in kritischen Bereichen einer Teilverkabelung neue Möglichkeiten der Trassenfindung und -realisierung.

Der Verfasser dankt der NKT GmbH & Co. KG, Köln, für die freundliche Unterstützung der Untersuchungen.

Erstveröffentlichung in: ew - Magazin für die Energiewirtschaft
Literatur
[1] Gehlen, Ch.: Netzausbau – Zwischenverkabelung in Raesfeld (Pilotprojekt). Vortrag Forum Netzbau und Netzbetrieb, Frankfurt am Main, Mai 2015.
[2] Heidelberg Cement: Powercrete und Cablecem. www.heidelbergcement.de.
[3] Brakelmann, H.; Wolff, C., et al.: Power-Tubes – Betriebssicherheit und Nachhaltigkeit. ew Jg. 113 (2014), H. 7, S. 58 – 65.
[4] Herrenknecht: Pipe Express, Direct Pipe, E-Power Pipe. www.herrenknecht.com.
[5] NKT Cables: Entwicklung eines beeinflussungsarmen Zwischenverkabelungssystems mit minimalem Trassenbedarf und maximaler Verfügbarkeit – Power- Tubes. Abschlussbericht zum BMWi- Förderungsprojekt 03ET7513, 2014 – 2016.
[6] Brakelmann, H.; Wolff, C., et al.: Technische Aspekte und Möglichkeiten von Power-Tubes-Kabelanlagen mit Notbetriebskühlung. In Vorbereitung.
[7] Zhang, R. D.: Optimierung zwangsgekühlter Energiekabel durch dreidimensionale FEM-Simulationen. Dissertation, Universität Duisburg-Essen, 2009.
[8] Cigré WG B1-10, Waschk, V., et al.: Update of Service Experience of HV Underground and Submarine Cable Systems. Cigré-Report, Mai 2009.
[9] Oswald, B. R.: 380-kV-Salzburgleitung. Studie für Energie-Control, Wien, 2007.
[10] Entso-E Europacable: Feasibility and Technical Aspects of Partial Undergrounding of Extra High Voltage Power Transmission Lines. Joint paper, Brüssel, 2011

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