Das unterirdische Güterverkehrssystem CargoCap

05.01.2011

Systemdarstellung und aktueller Stand des Projekts

Abstract:
CargoCap ist ein neuartiges Güterverkehrssystem für Ballungsräume, bei dem individuell angetriebene, automatisierte Transportfahrzeuge Stückgüter durch ein unterirdisches Fahrrohrleitungsnetz transportieren. Eine Grundlage für die Realisierung sind dabei die Entwicklungen im Bereich des grabenlosen Rohrvortriebs.

Die "Caps" nehmen je zwei Paletten auf. Ihren Antrieb übernehmen frequenzgeregelte Drehstrommotoren. Sie beziehen ihre Energie über ein berührungslos arbeitendes, induktives Energieversorgungssystem. Bordrechner steuern die autonom fahrenden Fahrzeuge, die sich bei erhöhtem Transportbedarf zu Fahrverbänden gruppieren. Ein speziell für CargoCap entwickeltes Weichensystem erlaubt es den Fahrzeugen, sich bei voller Fahrt in einen Verband einzugliedern oder ihn zu verlassen. Die CargoCap-Technik stellt ihre Leistungsfähigkeit derzeit auf einer 1:2-Modellstrecke in Bochum unter Beweis.

CargoCap ist eine Lösung für die aktuellen Verkehrsprobleme und die damit einhergehenden Umweltbelastungen in Ballungsräumen. Es erfüllt betriebliche Rentabilitätsforderungen und ist problemlos in die bestehenden Transportketten integrierbar.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Hintergründe der Idee zu CargoCap, den technischen Aufbau des Systems und informiert über den aktuellen Stand des an der Ruhr-Universität Bochum und von der CargoCap GmbH bearbeiteten Projekts.

1. Der Hintergrund des Projektes CargoCap

Die Zukunftsfähigkeit von Regionen hängt in einer extrem verflochtenen Wirtschaft in starkem Maße von verkehrstechnischen Gegebenheiten, d.h. von den Erreichbarkeitsverhältnissen, den Dienstleistungen rund um den Transport (wie Lagerhaltung, Kommissionierung, automatisiertes Bestellwesen) und den Anforderungen des Handels und des produzierenden Gewerbes an den Warenverkehr ab. Sicherheit, Zuverlässigkeit sowie Individualisierung von Sendungsanforderungen rücken dabei immer stärker in den Fokus, um Produktionsvorteile und flexible Reaktionen auf sich rasch ändernde Kundenwünsche zu ermöglichen. [SSB+09]

Ballungsräume, wie das Ruhrgebiet, haben auf den ersten Blick alle Vorteile vereinigt, wie beispielsweise einen großen Nachfragermarkt, ein dichtes Verkehrsnetz, Standorte des intermodalen Verkehrs, große Unternehmen des Handels, und eine gute Erreichbarkeit anderer großer Zentren (in Deutschland und in der Europäischen Union). Die zentrale Lage ist aber in diesem speziellen Fall auch als Nachteil zu interpretieren, da die Verfügbarkeit der Verkehrswege in der Region für die interne Verkehrsanbindung abnimmt. Eine Steigerung der innereuropäischen Transporte und damit der Nutzung der Fernverkehrswege für Transitverkehre führt zwangsläufig zu Standortnachteilen der Gebiete innerhalb der Region. [SSB+09]
Das CargoCap-System ist die 5. Transportalternative zu Straße, Schiene, Wasser und Luft, um Güter in Ballungsräumen durch unterirdische Fahrrohrleitungen schnell, wirtschaftlich, zuverlässig und umweltfreundlich transportieren zu können. Es ist als eigenständiges, leistungsfähiges und problemlos erweiterbares System konzipiert und lässt sich technisch ohne Verletzung von Bürgerinteressen schnell realisieren und problemlos in die bestehenden Verkehrssysteme und Logistikkonzepte implementieren (vergleiche Abbildung 1). [SSB+09]
CargoCap bietet erhebliche Vorteile, die von bisherigen unterirdischen Transportsystemen, wie zum Beispiel U-Bahnen (vergleiche Abbildung 2), nicht erreicht werden. Dies ist insbesondere auf die vergleichsweise günstige Verlegung der Fahrrohrleitungen zurückzuführen. Da CargoCap die etablierte Europalette als Ladungsträger verwendet, kann CargoCap zur Lösung der Verkehrsprobleme der Ballungsräume beitragen und damit Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Regionen bieten:
  • Verbesserung der Erreichbarkeit verkehrstechnisch schwer zugänglicher Industriestandorte
  • Verringerung des Flächenverbrauchs für Verkehrswege
  • Reduzierung der Umweltbelastungen durch die teilweise Verkehrsverlagerung in den Untergrund und Steigerung der Lebensqualität für die Anwohner
Die sog. "externen Kosten" (die volkswirtschaftlichen Schäden, die vom Verkehr ausgehen), fallen beim Betrieb von CargoCap nahezu nicht an. Durch den Einsatz des neuartigen Transportsystems können auf den Straßen Verkehrsstaus, Lärm, Luftverschmutzungen, Feinstaub und Unfälle reduziert werden, die bei den herkömmlichen Verkehrsmitteln unvermeidbar sind. [SSB+09]

Das CargoCap-System fügt sich nahtlos in das integrierte Energie- und Klimaschutzpaket der Bundesregierung von 2007 ("Meseberger Beschlüsse" des Bundeskabinetts) und die darin enthaltenen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und der Förderung der Elektromobilität ein. Hinsichtlich der derzeitigen Diskussion über die Reduzierung des CO2-Ausstoßes ist CargoCap aufgrund des elektrischen Antriebes in der Lage, einen wesentlichen Beitrag zu leisten und kann auch vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben werden. [SSB+09]

2. Die Wirtschaftlichkeit

Bereits in mehreren Studien ist das neuartige Verkehrssystem CargoCap auf seine Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit hin analysiert worden. Die jüngste und umfassendste Untersuchung stellt eine Marktpotentialanalyse dar, in der ein interdisziplinäres Projektteam aus Wirtschaftswissenschaftlern, Wirtschaftsprüfern, Juristen, Bauingenieuren und Maschinenbauern unter Leitung des Rohrleitungsbauingenieurs und Erfinders von CargoCap, Prof. Dr.-Ing. Dietrich Stein, die wesentlichen Fragen bezüglich einer Umsetzung des neuartigen Transportsystems in die Realität untersucht hat. In diesem Zusammenhang ist eine Trassenführung von Dortmund nach Duisburg betrachtet worden, die die aufkommensstarken Kunden und Gebiete anschließt. Es sind sämtliche Betriebs- und Investitionskosten für die Strecke, die Energieversorgung, die Fahrzeuge und die Stationen als Schnittstellen zu den Kunden ermittelt und auf dieser Basis die Transportzielmenge als Break-even berechnet worden, die benötigt wird, um das System wirtschaftlich zu betreiben und die Renditeforderungen der Kapitalgeber zu erfüllen. Demnach müsste das System in etwa 20% der systemaffinen Stückgüter entlang der betrachteten Trassenführung übernehmen, um wirtschaftlich zu arbeiten. Bei dieser Transportmenge ist das Fahrrohrleitungsnetzwerk erst geringfügig ausgelastet und in der Lage, weitere Güter zu akquirieren, wodurch die Wirtschaftlichkeit ebenso steigt wie bei einer zunehmenden Netzwerkbildung der Fahrrohrleitungen. [SSB+09]
Die juristische Untersuchung hat ergeben, dass kein Konfliktpotential besteht, sofern sich die Fahrrohrleitungen unter öffentlichem Grund und bestehender Verkehrsinfrastruktur befindet. Die CargoCap-Fahrrohrleitungen werden unter den bestehenden Versorgungsleitungen hindurchgeführt und gegebenenfalls, zum Beispiel bei der Kreuzung mit U-Bahnen, weiter abgesenkt (vergleiche Abbildung 3). [SSB+09]

3. Der grabenlose Rohrvortrieb

Bei der Verlegung der Fahrrohrleitung kommt der bewährte grabenlose Rohrvortrieb zum Einsatz. Diese Bauverfahrenstechnik ist Stand der Technik und wird heute beim Bau von Kanälen, die beispielsweise der Führung von Abwasser dienen, eingesetzt. Dabei werden von einem Startschacht aus mit Hilfe einer Hauptpressstation vorgefertigte Vortriebsrohre durch den Baugrund bis in einen Zielschacht getrieben, der nach derzeitigem Stand bis zu 1.200m entfernt sein kann. Der Boden oder Fels wird mechanisch abgebaut und durch das vorgetriebene Rohr nach über Tage gefördert. Die dem ersten Rohr vorgeschaltete Schildmaschine ermöglicht den genauen Vortrieb in gerader oder gekrümmter Linienführung (vergleiche Abbildung 4). [SSB+09]

4. Technische Beschreibung

Die CargoCap-Fahrzeuge fahren autonom und vollautomatisch durch das unterirdische Rohrleitungsnetzwerk. Der Laderaum eines Fahrzeugs ermöglicht die Aufnahme von zwei Europaletten, die zusammen ein Maximalgewicht von 1.500kg aufweisen dürfen. Der Fahrrohrleitungsdurchmesser von 2,00m ermöglicht eine Palettenbeladungshöhe von 1,25m, sodass bei geeigneten Waren zur besseren Ausnutzung des Transportraums in der Anschlusslogistik auch zwei beladene Paletten aufeinandergesetzt werden können. An Übergabestationen, die zumeist am Rand eines Ballungsraums liegen, werden die Paletten mit marktüblichen fördertechnischen Geräten auf die herkömmlichen Verkehrsmittel wie Bahn und Lkw für den Ferntransport umgeschlagen oder von ihnen übernommen. Die Übergabepunkte im Ballungsraum befinden sich in unmittelbarer Nähe des Kunden. Dort können die Paletten beispielsweise über Vertikalförderer direkt ans Band einer Fertigungsstraße oder in das Lager eines Einkaufszentrums geliefert werden.

Die CargoCap-Fahrzeuge weisen eine aerodynamisch geformte Karosserie auf. Ihre Gestalt zielt auf die Verringerung des Luftwiderstands in Hinblick auf den Betrieb bei einer hohen Versperrung des Rohrquerschnitts durch das Fahrzeug ab und unterstützt somit die betriebliche Energieeffizienz. In stärker belasteten Abschnitten des CargoCap-Streckennetzes bilden mehrere Fahrzeuge Fahrverbände, die abstandsgeregelt dicht hintereinander fahren. Auf diese Weise können die aerodynamischen Vorteile der Verbandsfahrt ausgenutzt und somit der Energieverbrauch weiter gesenkt werden. [Knü09; WS08]
Eine wesentliche Voraussetzung für die Verbandsbildung und -auflösung ist ein neuartiges Weichenkonzept und die spezielle Gestaltung der Verzweigungen. Der Fahrweg ist passiv ausgeführt, im Bereich einer Weiche befinden sich streckenseitig keine bewegten Elemente. Das Fahrzeug übernimmt den aktiven Teil der Verzweigung und besitzt hierfür zwei Weichenmodule. Diese schwenken im Vorfeld einer Verzweigung je nach Fahrtrichtung die Weichenarme, die im Verzweigungsbereich in seitlich des Fahrwegs montierte Führungsschienen eingreifen. Auf diese Weise kann das Fahrzeug ohne Reduktion seiner Geschwindigkeit in die gewünschte Richtung ausscheren und nachfolgende Fahrzeuge können die Verzweigung ohne Wartezeiten in jede gewünschte Richtung befahren. Dies ermöglicht eine dichtere Folge von Fahrzeugen, die für einen ausreichenden Durchsatz und für die Energieeffizienz des Systems erforderlich ist, verringert den Wartungsaufwand für die unterirdische Infrastruktur erheblich und verhilft den Caps dazu, den Rohrleitungsquerschnitt besser auszunutzen, da sich Fahrzeugkomponenten unterhalb der Schienenoberkante befinden können (vergleiche Abbildung 5). [Hoh09]
Bei der Durchfahrt einer Streckenverzweigung bzw. -zusammenführung kommt es zu einer Lastumlagerung. Während auf der freien Strecke das Fahrzeug durch die Räder und Spurführungsrollen geführt wird, stehen im Verzweigungsbereich neben den Rollen der beiden Weichenmodulführungsarme mit der Führungsschiene auch einseitig die Spurführungsrollen und die Tragräder in Kontakt mit einer Fahrschiene. Auf der anderen Fahrzeugseite besteht kein Kontakt der Rollen mit einer Schiene (vergleiche Abbildung 6). [Hoh09]
Die Steuerung eines Fahrzeugs übernimmt ein fahrzeugseitiger Industrie-PC. Der Informationsaustausch mit der übergeordneten Betriebsleittechnik und mit den anderen Fahrzeugen erfolgt über ein W-Lan-Tunnelfunksystem. Zur Realisierung der einzelnen Kommunikationsabschnitte werden spezielle Access-Points eingesetzt, an die je zwei Leckwellenleiter angeschlossen werden, die entlang der Strecke verlegt sind. Durch Vernetzung der Access-Points mittels marktüblicher Komponenten ausreichender Bandbreite entsteht ein beliebig skalierbares Kommunikationsnetz.

Die Positionsermittlung der Fahrzeuge erfolgt unter Verwendung von RFID-Komponenten, wobei streckenseitig montierte Transponder als Wegmarken dienen. Die Fahrzeuge lesen die Informationen der Transponder während der Überfahrt aus und referenzieren ihre Position. Auf Basis der eigenen Position und der Position der umgebenden Fahrzeuge regelt jedes Transportfahrzeug den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug selbst.

Laufrollen übernehmen die Tragfunktion der Fahrzeuge auf der Schiene, seitliche Spurführungsrollen stellen ihre Führung im Fahrweg sicher. Jede der Laufrollen wird durch einen Synchronmotor angetrieben. Diese Elektromotoren sind in großer Vielfalt am Markt verfügbar und technisch ausgereift. Zusätzlich gewährleistet das gewählte Antriebskonzept mit auf alle Räder verteilten Motoren eine optimale Traktion bei hoher Betriebssicherheit.

Die Energieversorgung der Fahrzeuge erfolgt berührungslos und ist damit wartungsfrei. Zwischen den Schienen ist eine Leiterschleife verlegt, in die eine hochfrequente Wechselspannung eingespeist wird. Durch das sich um die Leiter ausbildende elektromagnetische Feld wird nach dem Prinzip der induktiven Kopplung eine Spannung in die fahrzeugseitigen Übertragerköpfe induziert. Aus diesem Kreis speisen Frequenzumrichter die stufenlos regelbaren Antriebe.
Die Fahrzeuge verfügen über Energiespeichermodule, die die beim generatorischen Bremsen von kinetischer in elektrische umgewandelte Energie speichern. Somit kann diese entweder beim anschließenden Beschleunigungsvorgang wieder abgerufen werden oder an einer Umschlagsstation die Antriebe der fahrzeugseitigen Be- und Entladeeinrichtungen speisen.
Abbildung 7 stellt ein beschriftetes 3D-Modell des Modellstreckenfahrzeugs im Maßstab 1:2 dar, das über nahezu alle wesentlichen Komponenten des CargoCap-Systems verfügt.

5. Die Modellstrecke und Forschungsteilprojekte

Seit Beginn seiner Mitarbeit an CargoCap beschäftigt sich der Lehrstuhl für Maschinenelemente und Fördertechnik (LMF) an der Ruhr-Universität in Bochum als Partner des Projekts aus dem Bereich Maschinenbau unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Gerhard Wagner mit der technischen Konzeption und der schrittweisen Realisierung des CargoCap-Systems.
Ein bedeutender Schritt in diese Richtung ist die vom LMF entwickelte, realisierte und betriebene, derzeit 125m lange CargoCap-Modellstrecke im Maßstab 1:2, die sich in einer stillgelegten Turbinenhalle des Kraftwerks Bochum der RWE Power AG befindet und durch diese für das Projekt kostenlos zur Verfügung gestellt worden ist (vergleiche Abbildung 8).
Die Modellstrecke dient als entwicklungsbegleitender Prüfstand für CargoCap und beweist die technische Machbarkeit des Transportsystems. Hierfür werden die Kernelemente von CargoCap Schritt für Schritt technisch umgesetzt und erprobt. Die Fahrzeuge der Modellstrecke verfügen zum heutigen Zeitpunkt über nahezu alle wesentlichen Komponenten des CargoCap-Fahrzeugkonzepts (vergleiche Abbildung 9). Die Steuerung der Fahrzeuge und Kommunikation untereinander wird schrittweise umgesetzt.
Neben der Forschung dient die Modellstrecke der Demonstration des neuartigen Transportsystems. Aus diesem Grund hat eins der beiden Fahrzeuge eine Verkleidung erhalten, sodass dieses nun wie ein auf den Computergrafiken dargestelltes CargoCap aussieht (vergleiche Abbildung 10). Zur Demonstration der wesentlichen technischen Funktionen gehört auch die Darstellung der Be- und Entladung an der Modellstrecke. Zu diesem Zweck wurden an der Modellstrecke zwei Rollenbahnen installiert, die als streckenseitige Förderer eine Modellpalette transportieren. Für die nähere Zukunft ist vorgesehen, in das verkleidete Fahrzeug ebenfalls eine Rollenbahn zu integrieren, sodass die Palette von der streckenseitigen Rollenbahn in das Fahrzeug übernommen und durch dieses transportiert werden kann. Damit ist dann auch der Transportprozess vollständig im Modellmaßstab dargestellt (vergleiche Abbildung 11).
Aus der ID des Transponders wird auf den Ort zum Auslesezeitpunkt zurückgeschlossen. Zwischen den Transpondern wird die Ortsinformation interpoliert. Würden lediglich die Motorinkremente gezählt, würde dies auf Grund des Schlupfes zwischen Rad und Schiene zu Abweichungen von der wirklichen Position führen. Vor diesem Hintergrund ist die regelmäßige Ermittlung der Absolutposition notwendig. Diese RFID-basierte Ortsinformation muss dabei mit ausreichender Genauigkeit vorliegen. Diese Genauigkeit ist in umfangreichen Testreihen an der Modellstrecke für unterschiedliche Systemkonfigurationen ermittelt worden. Bei der nun verwendeten Konfiguration ist es nun möglich, auf ungefähr +/-0,2m genau auf den Aufenthaltsort der Fahrzeuge zurückzuschließen, die sich mit bis zu 11m/s über die Modellstrecke bewegen. Die Ortsinformation liefert die Grundlage für die Abstandsregelung der Fahrzeuge zueinander und den Umschaltzeitpunkt der Weichenmodule vor Verzweigungen. Die Abstandsregelung ist in einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt als Bestandteil der steuerungstechnischen Maßnahmen zum energieeffizienten Betrieb konzipiert und simuliert worden und wird nach Abschluss der Versuchsreihe zur Fahrzeugortung in die Modellstrecke implementiert. Auf die Abstandsregelung setzt direkt der Verbandsbildungsalgorithmus auf. Dieser entscheidet unter anderem im unmittelbaren Umfeld von Zusammenführungen über die Art des Einfügens der einzelnen Fahrzeuge in den neuen Verband. Zu den wichtigsten Zielvorgaben zählen hierbei die durchgehende Einhaltung von Mindestabständen, eine Vermeidung von Staus sowie aus Systemsicht energieoptimale Beschleunigungsvorgaben. [Knü09]

Die neuartige Verzweigungstechnik von CargoCap ist im Rahmen einer abgeschlossenen Dissertation entwickelt worden. Für die relevanten Schwerpunktlagen des Fahrzeuges bei variierender Beladung erfolgte eine Untersuchung der Last-Zeit-Verläufe mit einem dynamischen Mehrkörpersimulationsmodell und deren Abgleich mit der Realität durch die messtechnische Erfassung der wirkenden Lasten mit einem Weichenprüfstand im Maßstab 1:4. [Hoh09]

Derzeit erfolgt die Integration der Weichentechnologie in die CargoCap-Modellstrecke, die einen Schwerpunkt der derzeitigen Entwicklungsarbeit des LMF darstellt. Dazu gehört die Untersuchung der Schaltdynamik der Weichenmodule, damit die Weichenarme rechtzeitig vor der Einfahrt in die Führungsschiene einer Verzweigung oder Zusammenführung die gewünschte Endlage einnehmen und so im Betrieb auf der Modellstrecke einen störungsfreien Betrieb zu ermöglichen. Die Erweiterung der Modellstrecke um die Verzweigungstechnik legt darüber hinaus die Grundlage zur exemplarischen Erprobung von Strategien zur Fahrverbandsbildung an Zusammenführungen, die bereits jetzt durch Simulationen virtuell erprobt werden.

Neben der Entwicklung der Modellstrecke hat der LMF in einem weiteren von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt den Einfluss der Aerodynamik auf den Betrieb des unterirdischen Transportsystems untersucht. In dem Fahrrohrleitungsnetzwerk kommt es zu einer Interaktion der Fahrzeuge mit dem Strömungszustand. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurde ein Modell entwickelt, dass die Strömungssituation unter der Betrachtung der vorliegenden Fahrzeuggeometrie, der Gestaltung des Rohrleitungsnetzwerkes und des Betriebsszenarios (Durchsatz, Verbandskonfiguration) berücksichtigt. Dies erlaubt es, rückwirkend den Luftwiderstand der Fahrzeuge zu ermitteln, den mittleren Energiebedarf des Transportsystems CargoCap abzuschätzen und Optimierungsmaßnahmen abzuleiten. Die im Rahmen von CFD-Simulationen gewonnenen Erkenntnisse über die Strömung in der direkten Umgebung der Fahrzeuge konnten mithilfe eines Aerodynamikprüfstandes validiert werden. Bei diesem werden bis zu drei Fahrzeugmodelle mit bis zu 14m/s in unterschiedlichen Konfigurationen (Einzelfahrzeuge und Verbandsbildung, Abstände zwischen den Fahrzeugen, verschiedene Versperrungsmaße und Verkleidungsformen) durch eine 34m lange Fahrrohrleitung im Maßstab 1:6,6 gezogen. Aus der messtechnisch erfassten Fahrwiderstandskraft auf die jeweiligen Fahrzeugmodelle konnte auf den jeweiligen Luftwiderstandsbeiwert zurückgeschlossen werden. [SAHS10]

Die Streckenbelegung wirkt sich unmittelbar auf den Energiebedarf des einzelnen Fahrzeugs aus. Die Fahrzeuge, die wie Pumpen auf die Luftsäule in der Rohrleitung wirken, teilen sich die Pumparbeit. Dies wiederum führt dazu, dass bei einer größeren Fahrzeugzahl in der Rohrleitung eine kleinere Luftwiderstandskraft auf das einzelne Fahrzeug wirkt, die als Bestandteil der Fahrwiderstandskraft durch den Fahrzeugantrieb überwunden werden muss. Um den für eine energieeffiziente Fahrweise erforderlichen Durchsatz zu erreichen, ist die Bildung von Fahrverbänden vorteilhaft. Sofern der Fahrzeugfolgeabstand ausreichend gering ist, kommt es zum Windschatteneffekt und die Fahrwiderstandskraft nimmt weiter ab. [SAHS10]

Bei Berücksichtigung sämtlicher wirkenden Fahrwiderstände kann für unterschiedliche Betriebsszenarien auch ein Vergleich des spezifischen Energiebedarfs des neuartigen Verkehrssystems CargoCap mit anderen Verkehrsträgern vorgenommen werden. Dieser erfolgt auf Basis des Primärenergiebedarfs, umfasst sämtliche Wirkungsgrade und betrachtet den eingesetzten Energiemix. Hierbei ist festzustellen, dass der Energiebedarf von CargoCap zur Erbringung der gleichen Transportleistung niedriger ist als derjenige des 40-t-Lastzuges und das System zugleich erheblich effizienter arbeitet als der Lieferwagen. Somit kann CargoCap auch energetisch einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Transportprobleme der Zukunft und zur Verbesserung des Klimaschutzes bieten. [SAHS10]

6. Förderer der Forschung an der Modellstrecke

  • RWE Power AG: Bereitstellung der Maschinenhalle im Kraftwerk Bochum
  • SEW Eurodrive: Bereitstellung der Antriebstechnik auf der Modellstrecke
  • Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU): Förderung der Forschung
  • IFM electronic / Kathrein-Werke: Bereitstellung der RFID-Technik u. Sensorik
  • HaRo Anlagentechnik GmbH: Bereitstellung der Be- und Entladeeinrichtung


Literatur
[Ems10] Emscher Genossenschaft: Abwasserkanal Emscher. http://www.abwasserkanal-emscher.de/, 03.08.2010
[Hoh09] Hohaus, Lutz: Entwicklung einer Verzweigungsvorrichtung für das System CargoCap, simulationsgestützte Ermittlung von Betriebslasten. Dissertation 2009. Schriftenreihe Institute Product and Service Engineering, Fakultät für Maschinenbau, Ruhr-Universität Bochum,  Heft 09.3
[Knü09] Knüpfer, Peter: CargoCap - Optimale Fahrbewegungen autonomer Fahrzeuge. Dissertation 2009. Schriftenreihe Institute Product and Service Engineering, Fakultät für Maschinenbau, Ruhr-Universität Bochum, Heft 09.4
[WS08] Wagner, Gerhard; Schmitt, Martin: Research on the Air Drag of the Underground Freight Transportation System CargoCap. International symposium of Underground Freight Transportation, ISUFT 2008, Arlington, Texas
[SAHS10] Scholten, Jan; Aldejohann, Stefan; Hölscher, Hendrik; Schmitt, Martin: CargoCap - Gütertransport unter der Erde. Tagungsbeitrag zum 39. Großseminar des VDBUM. Braunlage 2010
[SSB+09] Stein, Dietrich; Stein, Robert; Beckmann, Dietmar; Wagner, Gerhard; Aldejohann, Stefan; u.a.: CargoCap - Automatischer Gütertransport im Untergrund - Marktpotentialanalyse am Beispiel einer Ruhrgebietstrasse.  Bochum: CargoCap GmbH 2009
[Ste02] Stein, D., u.a: Transport- und Versorgungssysteme unter der Erde. Abschlussbereicht interdisziplinäres Verbundprojekt IV A5 - 201 001 98 des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung NRW 2002
[Ste10] Stein, Dietrich: CargoCap - Automatischer Gütertransport im Ballungsraum. Vortrag 5. Wissenschaftssymposium Logisitik. Darmstadt 2010
[Vis] Computergrafiken: Visaplan GmbH, Bochum

Kontakt

Dipl.-Ing. Stefan Aldejohann, Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Maschinenelemente und Fördertechnik

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