Das 30. Lindauer Seminar: Die wasserwirtschaftliche Verantwortung in Politik und Technik
31.05.2017
Ein Nachbericht von Prof. Karsten Kerres, Aachen, zum 30. Lindauer Seminar "Praktische Kanalisationstechnik - Zukunftsfähige Entwässerungssysteme“.
Das 30. Lindauer Seminar am 9. und 10. März 2017 demonstrierte mit rund 480 Teilnehmern, 26 Referenten und 64 Ausstellern unter der Leitung von Herrn Prof. Max Dohmann und Herrn Prof. Wolfgang Günthert eindrucksvoll die wasserwirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung technisch intakter und zukunftsfähiger öffentlicher und privater Entwässerungssysteme.
Dabei wurden neben Entwicklungen rechtlicher Rahmenbedingungen und zukünftigen Herausforderungen an Planung und Betrieb von Entwässerungssystemen auch technische Innovationen aus den Bereichen Zustandserfassung und Sanierung vorgestellt und intensiv diskutiert.
Rahmenbedingungen und zukünftige Herausforderungen
Herr Prof. Max Dohmann, Aachen lenkte zum Auftakt der Veranstaltung traditionell einen Blick auf die Zukunft der Abwasserinfrastruktur in Deutschland und beleuchtete hierzu zunächst den aktuellen Stand der Stadtentwässerung. Er stellte fest, dass in den Städten weltweit fast ausschließlich eine zentrale Siedlungsentwässerung vorhanden sei. Allerdings seien angesichts zukünftiger Herausforderungen seit Jahren gegenüber der zentralen Siedlungsentwässerung nachhaltigere Konzepte in der Fachdiskussion.
Diese semizentralen Lösungen mit der Trennung der häuslichen Abwasserströme würden auch, so Prof. Dohmann, in der Gesetzgebung Berücksichtigung finden: Entsprechend sei im WHG gefordert, dass Niederschlagswasser ortsnah versickert, verrieselt oder direkt über eine Kanalisation ohne Vermischung mit Schmutzwasser in ein Gewässer eingeleitet wird. Konsequenz sei damit eine Abkehr von der Idee der schnellstmöglichen Ableitung des Regenwassers hin zu einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung und damit auch eine Priorisierung der Trennkanalisation. Auch seien dezentrale Systeme deutlich flexibler in Hinblick auf Klimawandel und demografischer Entwicklungen.
In diesem Zusammenhang wies Prof. Dohmann auf die BMBF-Fördermaßnahme „Intelligente und multifunktionelle Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung (INIS)“ hin; Ziel der 13 mit ca. 33 Mio. € geförderten Forschungs- und Entwicklungsprojekte sei eben die Entwicklung von innovativen und umsetzbaren Lösungen für eine Anpassung der Siedlungswasserwirtschaft an die sich ändernden Rahmenbedingungen in Deutschland. Zwar seien spektakuläre Ergebnisse mit kurzfristigen Wirkungen auf die praktische Siedlungsentwässerung nicht zu erwarten, jedoch könnten aus diesen Vorhaben deutliche Impulse für die Transformation der Wasserinfrastruktur und Entwicklung von Planungsinstrumenten z.B. für eine verknüpfte zentrale Siedlungsentwässerung ausgehen.
Herr MinDir Dr. Helge Wendenburg, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), Bonn benannte in seinem Vortrag die umweltpolitischen Anforderungen an die Wasserwirtschaft aus Sicht des Ministeriums. Insbesondere stellte er in diesem Zusammenhang die Mikroschadstoffstrategie des Bundes vor. Ziel sei, Gewässerbelastungen durch Arzneimittel, Mikroplastik oder (Haushalts-)Chemikalien zu minimieren.
Diese Strategie beinhalte eine Verbreitung der (dezentralen) Niederschlagswasserbehandlung, aber auch die konsequente Einführung einer weitergehenden Abwasserreinigung, z.B. mittels Aktivkohlefiltration oder Ozonierung. Ebenfalls diskutierte Herr Dr. Wendenburg die Ziele der neuen Klärschlammverordnung, die neben dem Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Klärschlammentsorgung in der gezielten Phosphorrückgewinnung lägen.
Moderne Siedlungsentwässerung – Aktuelle Herausforderungen an den Kanalbetrieb
Künftige Entwicklungen aus den Betriebserfahrungen in Dortmund und aus der DWA Regelwerksarbeit waren Gegenstand der Ausführungen von Herrn Dr. Christian Falk, Stadtentwässerung Dortmund. Wesentliche Schwerpunkte seien dabei die Entwicklung und Umsetzung von Inspektionsstrategien und von Kanalsanierungsstrategien. Dabei, so Dr. Falk, dürfe die Kanalsanierungsstrategie nicht nur technische Aspekte im Fokus haben, vielmehr ginge es auch und insbesondere um eine Strategie zum Werterhalt des in aller Regel größten kommunalen Vermögensgegenstand.
Effizient umgesetzt könnten solche Strategien in der Praxis durch wechselseitige Betrachtung von hydraulischer und baulicher Sanierung oder durch Berücksichtigung übergeordneter Planungen z.B. aus dem Straßenbau. Dies führe in der Konsequenz auch zu einer Synchronisation von Sanierungsstrategie und TV-Befahrung bis hin zu Überlegungen hinsichtlich der Zustandserfassungstechnik. So würden in Dortmund zunehmend elektronische Kanalspiegel eingesetzt, um effizient Hinweise über den Zustand der Haltungen zu erlangen und die Erkenntnisse ggf. durch TV-Inspektionen im Nachgang zu verdichten.
Herr Claus Externbrink, Lünen schilderte im nächsten Vortrag seine Erfahrungen mit der Effizienzsteigerung von Kanalbetrieben. Entscheidend für das Überleben des Unternehmens seien der Betrieb und das Investitionsverhalten. Dabei müssten sich Investitionen auf valide Kenntnisse über den Zustand der vorhandenen Anlagen sowie über die hydraulischen Anforderungen stützen können. Ergänzend sollten Informationen herangezogen werden über Probleme im Netz, die sich für die Kunden ergeben können.
Zur Effizienzsteigerung sollten neben üblichen Managementwerkzeugen auch neue Wege in betrieblichen Abläufen untersucht und genutzt werden. So konnte Herr Externbrink positiv über den kombinierten Einsatz von Kanalreinigung und Kamerauntersuchung berichten. Bei Verknüpfung dieser Technologie mit Kanaldatenbanken und Betriebsführungssystemen seien erhebliche Erkenntnisgewinne über das Netz bei gleichzeitigen Kostenreduzierungen möglich.
Dr. Juliane Thimet, Bayrischer Gemeindetag, München formulierte in ihrem Vortrag Forderungen und Empfehlungen des Gemeindetags zu aktuellen Herausforderungen an den Kanalbetrieb aus Sicht der Betreiber. Die gegenwärtigen Probleme identifizierte Frau Thimet in der Exfiltration bzw. Infiltration durch undichte Leitungen, in der technischen Umsetzung des Umstiegs vom Misch- ins Trennsystem sowie in der rechtssicheren Einführung der gesplitteten Abwassergebühr.
Die damit verbundene Generalsanierung von Ortsnetzen und deren Finanzierung könne durch Fördermaßnahmen unterstützt werden. Gegenwärtig seien die Förderschwellen jedoch zu hoch, sodass ihre Ausführungen in der Forderung an die Politik mündeten, die Förderprogramme entsprechend der tatsächlichen Bedürfnislage der Netzbetreiber anzupassen. Darüber hinaus stellte Frau Thimet neue Ansätze zu einer verursachergerechten Zuordnung von Kosten für Fehlanschlüsse z.B. in Form einer Klarwassersatzung vor.
Planung und Strategien zur Bewältigung von Starkregenereignissen
Aktuelle Entwicklungen aufgreifend, sind Konzepte zum Umgang mit Starkregenereignissen auf dem JT-Seminar in den letzten Jahren zunehmend thematisiert und mittlerweile fester Tagungsbestandteil geworden. Herr Prof. F. Wolfgang Günthert, Universität der Bundeswehr München stellte vor diesem Hintergrund die Herausforderungen für die Überprüfung und Anpassung vorhandener Kanalisationen vor. Dabei gelte es, den Konflikt zwischen städtebaulicher Nutzung mit einhergehender Versiegelung und der Bereitstellung von Retentionsräumen und Wasserwegen konstruktiv aufzulösen.
Als Vorsorgemaßnahmen nannte Herr Prof. Günthert neben Niederschlags- und Abflussmessungen mit aktuellen hydraulischen Betrachtungen des Entwässerungssystems in Form eines Überflutungsnachweises insbesondere die Gefährdungsanalyse betroffener Gebiete und Objekte. Darauf aufbauend empfahl er die Entwicklung eines integralen und multifunktionalen Überflutungsschutzes. Dieser müsse sowohl ein Regenwassermanagement als auch den Objektschutz zum Inhalt haben. Darüber hinaus seien eine umfassende Beratung der möglichen Betroffenen hinsichtlich der Umsetzung von Schutzmaßnahmen erforderlich.
Möglichkeiten der praktischen Umsetzung eines integralen und multifunktionalen Überflutungsschutzes in Form eines permanent aktuellen Generalentwässerungsplanes stellte Herr Gerald Angermair, tandler.com Gesellschaft für Umweltinformatik, Buch am Erlbach in seinem Vortrag vor. Kern eines integralen Vorgehens sei, dass verfügbare Daten zu Baumaßnahmen und auch betriebliche Informationen stets aktuell und zentral zugänglich sein müssten.
Darüber hinaus müsse eine Direktverbindung des Kanalinformationssystems zu hydraulischen Berechnungsprogrammen eingerichtet sein. Auch seien für eine integrale Betrachtung ein kontinuierlicher Informationsaustausch zwischen den Daten zu Kanalnetz, Oberflächen und Fließgewässer als Grundlage einer Synchronisation der hydraulischen Berechnung erforderlich. So könnten Fließwege und Wasserstände visualisiert, mit Straßenflächen verschnitten und schlussendlich Überflutungsrisiken gebäudescharf ermittelt werden.
Herr Dr. Martin Wolf, SiwaPlan Ingenieurgesellschaft, München schloss sich diesen Betrachtungen an: Insbesondere um das Ziel der integralen Siedlungsentwässerung einer Nutzung der Oberfläche zur schadlosen Niederschlagswasserableitung erreichen zu können, müssten damit verbundene Möglichkeiten und Risiken erkannt werden können. Überflutungsberechnungen und -nachweise auch unter Einbindung von Oberflächenabflüssen seien mittlerweile EDV-technisch möglich.
Im Sinne der Daseinsvorsorge sollten daraus wirtschaftliche Maßnahmen von Kanalnetzerweiterungen bis hin zum individuell geplanten Objektschutz abgeleitet werden. Darüber böten der integrale Berechnungsansatz und die entsprechende Maßnahmenfindung durch die damit verbundene Transparenz die Möglichkeit, betroffene Bürger im Siedlungsgebiet für diese Maßnahmen zu gewinnen.
Herr Thomas Jacobs, AWA-Ammersee stellte das Konzept eines zukunftsfähigen Generalentwässerungsplans aus Sicht eines Abwasserzweckverbandes vor. Kern dieses Konzeptes sei die Übernahme gemeindlicher Regenwasserkanäle und damit die Ausgliederung der Regenwasserbeseitigung aus den Gemeinden gewesen.
Hierzu seien die vorhandenen Regenwasserkanäle zunächst zu bewerten und insbesondere alle angeschlossenen Flächen zu ermitteln. Darüber hinaus seien insbesondere rechtliche Aspekte, wie die Einholung von Grunddienstbarkeiten oder wasserrechtlichen Genehmigungen zu klären. Im Anschluss könne dann der Generalentwässerungsplan gemeinsam mit der Gemeinde erstellt werden und das planerische Konzept durch die Erstellung von Vereinbarungen und Satzungen abgesichert werden. Trotz des erheblichen Aufwandes sie die Zentralisierung der Niederschlagswasserbeseitigung notwendig und auch vorteilhaft. Nur so, so das Fazit von Herrn Jacobs, könne ein integrales Gesamtkonzept für das Verbandsgebiet unter Einbeziehung der zu bewirtschaftenden Gewässer aufgestellt werden.
Ansätze der Technischen Betriebe Solingen (TBS) für den Umgang mit Starkregenereignissen und Überflutungen wurden von Herrn Manfred Müller vorgestellt. Die Technischen Betriebe Solingen beschäftigen sich im Rahmen ihrer Aufgabe der Siedlungsentwässerung seit mehreren Jahren mit den Auswirkungen von und dem Schutz vor Starkregen. Hieraus stünden den TBS bereits stadtweite Fließwegkarten sowie Informationen zu Feuerwehreinsätzen und des Kanalbetriebes bei Starkregen zur Verfügung.
Im Rahmen der Generalentwässerungsplanung würden zudem seit 2015 die Abflüsse im Kanalnetz und an der Oberfläche mit der gekoppelten Simulation ermittelt. Mit diesen Werkzeugen ließen sich stadtweit Gefährdungen durch Starkregen ableiten und Risiken erkennen, die dann in konkreten Schutz- oder Präventionsmaßnahmen mündeten.
Hierfür stünde innerhalb der Siedlungen neben dem begrenzt wirkenden unterirdischen Kanalnetz ein zweites Entwässerungssystem an der Oberfläche durch Straße, Grünflächen und Gewässer zur Verfügung. Dieses müsse aber für eine schadlose Ableitung von Starkregenereignissen angepasst werden. Die Umsetzung solcher Maßnahmen stieße zwar oftmals an rechtliche Grenzen, jedoch seien die Erfahrungen der Stadt Solingen mit umgesetzten Maßnahmen durchweg positiv zu bewerten, so Herr Müller.
Erfahrungen bei der Instandhaltung von Kanalisationen
Die Möglichkeiten der Instandhaltung von Kanalisationen wurden von Herrn Bernhard Lotz, Stadtwerke Nidderau erörtert. Anlass seiner Betrachtungen war der Sachverhalt, dass die Restbuchwerte der Kanalhaltungen deutlich rückläufig seien. Grund sei ein wachsender Anteil abgeschriebener Haltungen, die sich weiterhin in Betrieb befänden. Die umfassende Inspektion des Netzes sei der erste und wesentliche Schritt bei der Instandhaltung der Infrastruktur. Dies schließe die Inspektion der Grundstücksentwässerungsanlagen ausdrücklich mit ein.
Gute Erfahrungen würden in diesem Zusammenhang mit einer 3-d Erfassung der Leitungen gemacht. Die Inspektion des öffentlichen wie privaten Netzes könne, so die Erfahrungen von Herrn Lotz, oft als Initialzündung für einen integralen Lösungsweg dienen. Ergebnis sei über eine Sanierung des Kanalnetzes hinaus eine bessere unterirdische Infrastruktur, da oftmals Gas- und Wasserversorgungsleitungen sowie der Straßenkörper in einem Arbeitsgang ebenfalls erneuert würden.
Wie die Instandhaltung von Kanalisationen insbesondere durch kleine Gemeinden mittels interkommunaler Zusammenarbeit gewährleistet werden kann, beschrieb Herr Martin Raab, Kanalwartungsverband Oberes Donautal (Österreich). Das Konzept der interkommunalen Zusammenarbeit bestünde darin, dass bestehendes Gemeindepersonal dem Verband überstellt sei, jedoch Bedienstete ihrer Gemeinden blieben. Vorteil dieser Neuorganisation sei u.a., dass die Anlagen, die im Besitz der Gemeinden blieben, gezielt und effizient durch qualifiziertes Personal mit ausschließlicher Zuständigkeit für Abwasseranlagen betrieben werden könnten. Zudem könne hochwertiges Spezialgerät beschafft werden und sei mit ausreichend hohem Einsatzausmaß rentabel nutzbar, sodass insgesamt ein deutlich wirtschaftlicherer Betrieb möglich würde.
Herr Bruno Schmuck, SBU Büro für sanierungstechnische Planung und Beratung AG, Rorschach (Schweiz) wagte im Abschlussvortrag des ersten Seminartages nochmals einen Blick in die Zukunft. Er stellte fest, dass die Infrastrukturanlagen ein unverzichtbarer Unterbau unserer Gesellschaft und Wirtschaft seien und maßgeblich zur hohen Lebensqualität der Einwohner eines Landes beitrügen. Der Zustand der Infrastrukturen sei also von großer Bedeutung.
Derzeitige Situation aber sei, dass der größte Teil der heutigen Infrastrukturanlagen in den Siebzigerjahren erstellt wurde. Inzwischen seien die Anlagen in die Jahre gekommen, viele Kanäle und Leitungen hätten ihre durchschnittliche Lebensdauer bald erreicht und die zu erwartenden Unterhalte und Erneuerungskosten seien beträchtlich. Trotzdem dies bekannt sei, würden Investitionen oftmals aus Kostengründen in die Zukunft verschoben. Darüber hinaus würden Instandhaltungsmaßnahmen oftmals nach reinen Kostenkriterien vergeben. Dies führe unweigerlich zu Qualitätseinbußen und sei der Akzeptanz zum Einsatz von qualitativ hochstehenden Sanierungsverfahren in keiner Weise förderlich.
Um die großen Herausforderungen an den Erhalt der Infrastrukturen zu bewältigen und nachfolgenden Generationen intakte und funktionstüchtige Anlagen hinterlassen zu können, würden umfassende und angepasste Managementtools benötigt, die es erlauben vorhandene Budgets effizient zu nutzen und Qualität zu sichern. Dies diene dem Werterhalt und dem Erreichen der angestrebten Lebensdauer der Infrastrukturanlagen.
Neue Entwicklungen in der Praxis
Der zweite Seminartag widmete sich traditionell technischen Innovationen. Herr Prof. Karsten Kerres, FH Aachen - University of Applied Sciences stellte vor diesem Hintergrund Sonderverfahren zur Zustandserfassung und von Kanalisationen vor: Integrales Kanalmanagement umschließe gemäß DIN EN 752 den Prozess der Erreichung eines Verständnisses vorhandener oder vorgesehener Entwässerungssysteme sowie der Nutzung dieser Information zur Entwicklung von Instandhaltungsstrategien.
Wesentliches Element dieses Prozesses sei damit auch die Beurteilung des baulichen Zustandes der Kanalisationen. Dies schließe grundsätzlich auch die Beurteilung der Standsicherheit ein, die mittels optischer Inspektion nicht befriedigend abgeschätzt werden könne. In diesem Kontext nenne die DIN EN 752 explizit das Georadar und das Abdrücken der Kanalhaltung von innen (beispielweise das vom IKT genutzte MAC-Verfahren) als Verfahren, um Hohlräume hinter der Kanalwand oder die Steifigkeit des Boden-Rohr-Systems zu messen.
Herr Prof. Kerres stellte in diesem Zusammenhang ein Forschungsvorhaben zur Entwicklung eines aus der Kanalhaltung heraus messenden Georadars vor. Ungeachtet im Zusammenhang mit diesem rotierenden Georadar noch zu leistender Entwicklungsarbeiten böten das MAC-Verfahren und das Georadar Messergebnisse, auf deren Grundlage weitere Prüfungen, wie z.B. Bohrkernentnahmen oder Künzelungen gezielt vorgenommen werden könnten. Zudem bestünde die Möglichkeit beide Verfahren sinnvoll zu kombinieren. So könnten Sanierungsmaßnahmen zielgerichtet und mit hoher Zuverlässigkeit auf die jeweilige Schwachstelle ausgerichtet werden. Des Weiteren könnten beide Verfahren auch zur Qualitätssicherung ausgeführter Sanierungsarbeiten herangezogen werden. Auch sei die Kontrolle der Einbau- und Bettungsverhältnisse im Rahmen einer Neubaumaßnahme mit diesen Verfahren möglich.
Herr Jörg Otterbach, Wasserverband Eifel-Rur, Düren stellte ein Pilotvorhaben zum 3-d Laserscanning von Sonderbauwerken vor. Ziel des Projektes sei die Erfassung des Mehrwertes derart erhobener Daten gegenüber einer konventionellen Vermessung. Dieser bestünde zum einen in der browsergestützten Visualisierungsmöglichkeit des Bauwerks und es sei auch eine nachträgliche Vermessung jederzeit möglich, was die Glaubwürdigkeit der Daten erhöhe. Insbesondere aber sei ein 3-d Modell zur Planung vorhanden. Dies helfe, Planungsfehler zu vermeiden. Die Planungssicherheit würde so also erhöht. Insgesamt, so das Fazit von Herrn Otterbach sei die 3-d Erfassung nicht nur technisch ein Erfolg, sondern böte gegenüber der konventionellen Vermessung auch wirtschaftliche Vorteile.
Die Umsetzung einer gesamteinheitlichen Inspektionstechnik in Gießen war Gegenstand des Vortrages von Herrn Till Roman Riedel, MWB – Mittelhessische Wasserbetriebe, Gießen. Er stellte dabei insbesondere das in den Wasserbetrieben entwickelte Vorgehen zur Beschaffung von Gerätschaften vor. Anlass dieser Entwicklung sei gewesen, dass TV-Inspektionen und Reparaturen zukünftig durch eigenes Personal durchgeführt werden sollten. Zur Markterkundung und Angebotsbewertung wurde ein umfassender Kriterienkatalog entwickelt. Bewertet wurden dabei auch die Ergebnisse selbst entwickelter standardisierter Reparaturaufgaben, die im Rahmen von Gerätevorführen zu lösen waren.
Zusammenfassend stellte Herr Riedel fest, dass die intensive Vorbereitung der Geräteinvestition sichergestellt hätte, dass eine sachgerechte und nachhaltige Entscheidung getroffen werden konnte. So habe sich die Entscheidung mit eigenem Personal und eigener Technik zu arbeiten bewährt. Die Arbeitsleistungen der TV-Inspektionskolonne sei nach der erforderlichen Einarbeitungszeit sehr zufriedenstellend und so sei es von Seiten der MWB angedacht, die TV-Inspektionskolonne in den kommenden Jahren zu erweitern.
Wartung und Betrieb von Abwasserdruckleitungen stellen für die Betreiber nach wie vor große Herausforderungen dar. Vor diesem Hintergrund befassten sich zwei Vorträge mit dieser Thematik. Hans-Gerd Hammann, Hamman GmbH, Annweiler am Trifels stellte ein Verfahren zur Reinigung von Abwasserdruckleitungen im laufenden Betrieb vor und berichtete von seinen Praxiserfahrungen.
Ablagerungen führten zu Querschnittsverengung und die beeinträchtigte Hydraulik wiederum zu langen Pumpenlaufzeiten und damit erhöhten Energiebedarf. Die in der Regel fehlende Zugänglichkeit und große Leitungslängen würden besondere Reinigungsverfahren erfordern, so Herr Hamman. Das sogenannte Comprex-Verfahren ermögliche durch die pulsierende Druckluftzuführung einen effizienten Reinigungserfolg auch bei geometrisch komplexen Druckleitungen. Die Druckluftzuführung lasse sich leicht an spezielle Randbedingungen der Anlage anpassen und die Reinigungsaufwendungen würden sich durch die erzielte Energieeinsparung in der Regel kurzfristig amortisieren.
Herr Dr. Sissis Kamarianakis, Institut für Unterirdische Infrastruktur, Gelsenkirchen stellte den Stand der Technik bei der Dichtheitsprüfung von Abwasserdruckleitungen vor. Gemäß EN 1610 sind Druckrohrleitungen nach EN 805 zu prüfen. Insbesondere aber das dort für Rohre aus viskoelastischen Materialien vorgesehene Kontraktionsverfahren ist für die Anwendung in der Praxis oftmals zu komplex.
Erfahrungen des IKT zeigten, dass die Messtechnik zwar durchaus ausreichend sei, das Messergebnis aber erheblich von den ausführenden Personen abhängt. Diese sind oftmals nicht ausreichend geschult. Zudem sind die Dichtheitsprüfungen sehr zeitaufwändig. Vor diesem Hintergrund hat das IKT in Anlehnung an das Kontraktionsverfahren eine eigene Prüfungssystematik entwickelt, die u.a. gegenüber dem Normverfahren zeitlich stark verkürzt wurde. Die Praxiserfahrungen sind, so Dr. Kamarianakis, sehr positiv.
Herr Ulrich Jöckel, JT-elektronik GmbH, Lindau führte im sich anschließenden Vortrag aus, dass die bisherige Herangehensweise der Zustandserfassung und -bewertung von Grundstücksentwässerungsanlagen aufgrund zahlreicher technischer und normativer Entwicklungen zwar bereits sehr ausgereift sei, dennoch gebe es in der Praxis noch zahlreiche Defizite. Diese liegen beispielsweise in der Dokumentation der Nennweite, auch würden Lageabweichungen und Ablagerungen oftmals nicht konsequent erfasst. Insbesondere ist aber zu erwarten, dass das Schadenskürzelsystem der DIN EN 13 508-2 bei Anwendung an Grundstücksentwässerungsanlagen die betroffenen Eigentümer überfordere. Wünschenswert ist dagegen die Unterstützung der Eigentümer.
Vor diesem Hintergrund ist im Hause JT-elektronik ein Konzept entwickelt worden, welches Unterhalt, Reinigung, Inspektion und Messungen auf neuartige Weise miteinander verknüpft. So werde in der Dokumentation ein sechsstufiges Notensystem verwendet und die Haltungen bzw. Grundstücksentwässerungsanlagen entsprechend farbig im GIS dargestellt. Ebenfalls würden Sensoren während der TV-Inspektion Nennweite und Gefälle der Leitungen erfassen. In diesem Zusammenhang bedankte sich Herr Jöckel auch bei den vielen Betreibern, die mit ihren Erfahrungen und praxisnahen Fragestellungen erheblich zu Innovation und Fortschritt beitrügen.
Kanalsanierung – von der Planung bis zur Abnahme
Zum Einstieg in den letzten Vortragsblock stellte sich Herr Prof. Karsten Körkemeyer, TU Kaiserslautern der Frage, wie die Sanierungsplanung nachhaltig gestaltet werden könne. Im Zusammenhang mit Entwässerungssystemen sei Nachhaltigkeit derart definiert, dass das System unter den optimalen Umwelt-, sozialen und wirtschaftlichen Aufwendungen zu planen, zu bauen, zu betreiben, zu warten und zu sanieren sei.
Voraussetzung für eine nachhaltige Sanierungsplanung sei, dass über die Beurteilung gemäß DWA-M 149-2 hinaus in der Regel weitere Erkundungen vorgenommen werden müssten. Diese seien beispielsweise Überprüfung der Geometrie, das Einmessung der Schäden, die Beurteilung der Lagerungsdichtes in der Leitungszone oder auch die Entnahme von Bohrkernen und das Messen der Korrosionstiefe.
Diese Aspekte führte Herr Prof. Körkemeyer umfassend anhand eines Praxisbeispiels aus und stellte zusammenfassend dar, dass Untersuchungen zu Lösungsvarianten einer Kanalsanierungsmaßnahme in Abhängigkeit der Komplexität der Aufgabe die Modellierung des Sanierungsobjektes und die Durchführung von hydraulischen, statischen und betrieblich Simulationen erforderten.
Aktuelle Entwicklungen bei GFK Inlinern wurden im Anschluss von Herrn Christian Noll, RELINEEUROPE AG, Rohrbach beschrieben. Während GFK Inliner in den 90er Jahre vorrangig auf die kleineren Durchmesser bis DN 500 eingesetzt wurden, seien derzeit GFK Liner bis DN 1600 verfügbar. Die Glasfaserverstärkung böte zudem die Möglichkeit einer hohen mechanischen Belastbarkeit und im Umkehrschluss ließen sich geringe Wandstärken realisieren, was für die Handhabung des Liners auf der Baustelle vorteilhaft sei.
Auch könne der Inliner durch die individuelle Konfektionierung der Glasfaser hinsichtlich bestimmter geforderter Eigenschaften angepasst werden. Ebenfalls hätten Entwicklungen in den UV-Lichtsystemen dazu beigetragen, dass die Aushärtegeschwindigkeiten erheblich gesteigert worden seien und außerdem steuerbar seien. So könne der Aushärteprozess zur Qualitätssicherung kontrolliert und dokumentiert werden.
Herr Niklas Ernst, Bluelight GmbH, Stuttgart stellte in diesem Zusammenhang ein neuartiges Inlinerverfahren für kleine Durchmesser vor. Mittels DIBT zugelassenen LED sowie angepassten Harzen und Harzträgern könne ein bogengängiges Komplettsystem angeboten werden, welches sich insbesondere für die Sanierung von Grundstücksentwässerungsanlagen eigne. Weitere hervorzuhebende Eigenschaften des Systems seien der geringe Platzbedarf für die Einbautechnik und die damit verbundene Mobilität sowie die Verwendung von styrol- und geruchsfreien Vinylesterharz, sodass keine kennzeichnungspflichtigen Stoffe mehr auf der Baustelle erforderlich seien. Zudem erlaube das System offene Enden und durch die radiale Dehnbarkeit auch Durchmesserwechsel in der Leitung.
Zum Thema Qualitätssicherung und Abnahme von Kanalsanierungsmaßnahmen stellte Herr Prof. Bert Bosseler, Institut für Unterirdische Infrastruktur (IKT) Gelsenkirchen zunächst fest, dass die Leistungsanforderungen an ein saniertes System denen an ein neues System entsprechen müssten. Um dies gewährleisten zu können, seien hohe Qualitätsstandards in Planung und Ausführung erforderlich. Zahlreiche Warentests des IKT und eigene Entwicklungen im Bereich der Leitungsprüfung seien ein wesentlicher Beitrag zur Qualitätssicherung. Denn die richtige Wahl des unter technisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten geeigneten Sanierungsverfahrens stelle, ebenso wie die Wahl der zugehörigen Nutzungsdauer, eine anspruchsvolle Ingenieuraufgabe dar.
Für die Entscheidungsfindung könne die Identifizierung und Bewertung der mit der Verfahrensanwendung verbundenen Risiken sowie der Möglichkeiten zur Risikominderung eine Orientierung bieten. Mit den Warentests würden eben diese Risiken und Möglichkeiten der verschieden Sanierungsverfahren transparent werden und damit planende Ingenieure bei der Verfahrenswahl unterstützt. Darüber hinaus trügen die Warentests auch zur Weiterentwicklung der getesteten Produkte bei.
Herr Dr. Bernhard Fischer, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Bonn wies in seinem Vortrag auf neue Regelwerksteile zu Kanalreparaturverfahren hin. Denn, so Herr Dr. Fischer, den Reparaturverfahren kämen mit über 55 % der Hauptanteil bei der Verfahrenswahl gegenüber der Renovierung und Erneuerung zu. Zudem verlange die Reparatur defekter Abwasserkanäle sowohl in der Planung als auch in der Ausführung ein hohes Maß an Ingenieurwissen und Erfahrung bei der Einschätzung des geeigneten Verfahrens unter Berücksichtigung des erkannten Schadens, unterschiedlichen Baugrundverhältnissen, wechselnden Umgebungskriterien wie schwankende Grundwasserstände. Bislang stünden jedoch weder für die Injektionsverfahren noch für die Flutungsverfahren eine technische Hilfe als Merk- oder Arbeitsblatt seitens der DWA-Regelwerke zur Verfügung.
Vor diesem Hintergrund sei die Erarbeitung des Merkblattes des DWA-Merkblatt M 143-8, „Injektionsverfahren zur Reparatur von Abwasserleitungen“, welches bereits im Gelbdruck vorläge und des DWA Merkblattes M 143-20, „Flutungsverfahren zur Reparatur von Abwasserleitungen“, welches voraussichtlich noch in diesem Jahr veröffentlicht würde mehr als überfällig gewesen. Zusammenfassend stünde daher den Ausschreibenden und den Ausführenden zukünftig zwei neue und wichtige Regelwerke für Reparaturarbeiten von defekten Abwasserkanälen hilfreich zur Seite.
Ein neuartiges Reparaturverfahren wurde von Herrn Thomas Jansen, Twinbond Liner GmbH, Lindau vorgestellt. Beim Twinbond Liner (TbL) - Verfahren handelt es sich um eine Technik, die in geschlossener Bauweise bei der Reparatur erdverlegter, schadhafter Freispiegel-Abwasserleitungen im Nennweitenbereich DN 100 bis DN 400 zum Einsatz kommt. Dabei wird ein mit Harz getränktes Glasfaser-Aramidlaminat mit Hilfe eines Packers an die zu reparierende Schadensstelle positioniert. Dies kann mittels Schiebestangen, Luftschiebestangen oder Seilwinden erfolgen.
Anschließend wird die getränkte Glasfaser-Aramidmatte kraft- und formschlüssig an die Rohrinnenwand und überschüssiges Harz in die Schadensstelle gepresst. Dies sorgt für eine dauerhafte Abdichtung. Zudem liegt der ausgehärtete Kurzliner aufgrund seiner Konstruktion kantenfrei über der Reparaturstelle und bildet dadurch kein Abflusshindernis.
Abschließend wurde im Vortrag von Herrn Erik Büttner, Scandric 3d Solutions, Bochum nochmals das 3-d Laserscan Verfahren aus Anbietersicht vorgestellt. Vorteile des Verfahrens sind die vollständige berührungslose 3-d Erfassung von Bauwerken, die oftmals auch ohne Begehung möglich ist. Kinematische Messverfahren in Verbindung mit einem Kamerawagen ermöglichten zudem die hochaufgelöste Innenvermessung von Abwasserkanälen.
Herausforderungen beim 3-d Laserscan sind nach wie vor große Datenmengen, die Datenverfügbarmachung und die Visualisierung der Ergebnisse. Hierfür bietet das Haus Scandric 3d Solutions ein umfassendes serverbasiertes Softwarepaket an, sodass Projekte effektiv, ortsunabhängig und im kontinuierlichen Austausch mit dem Netzbetreiber gestaltet werden können.
Zusammenfassend zeigte auch das diesjährige Lindauer Seminar, dass die Zukunftsfähigkeit der Siedlungsentwässerung nicht nur ein technisches Thema, sondern auch ein Thema von äußerst hoher gesellschaftlicher Relevanz ist. Entsprechend wurden die Zusammenhänge aus Sicht der Gesetzgebung, der Betreiber, der Planer und der Anwender vorgestellt und von den Teilnehmern angeregt diskutiert. Ein besonderer Dank geht im Namen aller Teilnehmer an die Familie Jöckel und an alle Mitarbeiter der Fa. JT-elektronik GmbH für die hervorragende Gestaltung und Organisation des Seminars.
Das 31. Lindauer Seminar findet am 08. und 09.03.2018 in der modernisierten und erweiterten Lindauer Inselhalle statt, wieder mit den relevanten Themen zur praktischen Kanalisationstechnik und Instandhaltung von Kanalisationen und neuem Ausstellungskonzept.
Weitere Informationen zum 30. Lindauer Seminar unter Email: sonja.joeckel@jt-elektronik.de oder im Internet: www.jt-elektronik.de.
(Autor: Prof. Karsten Kerres, Aachen)
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