Hochdruckspülverfahren (HD-Spülverfahren)
Das universelle und bei etwa 90 % aller Kanalreinigungsmaßnahmen eingesetzte Verfahren, das sowohl zur Beseitigung von Ablagerungen im Rahmen der regelmäßigen Wartung als auch für die Reinigung als vorbereitende Maßnahme einer Kanalinspektion oder Sanierung eingesetzt werden kann, ist das Hochdruckspülverfahren (HD-Spülverfahren) [Lenz96] (in DIN EN 752-7 [DINEN752-7] als Hochdruckreinigung bezeichnet).
Es ist in der Regel nicht anwendbar bei verfestigten Ablagerungen oder zur Beseitigung von Abflußhindernissen, z.B. einragende Anschlußkanäle, künstliche Hindernisse und Wurzeln, bzw. zur Erzielung eines sehr hohen Reinigungsgrades der Rohrinnenfläche. In diesen Fällen muß zusätzlich auf mechanische Reinigungsverfahren oder -geräte zurückgegriffen werden (Abschnitt 3.2.4) , die zum Teil auch direkt durch die Hochdruckspülfahrzeuge angetrieben werden können.
Bei dem HD-Spülverfahren wird Spülwasser mittels einer Hochdruckpumpe aus einem Wassertank durch einen Schlauch gepumpt, an dessen Ende eine Reinigungsdüse installiert ist. In der Reinigungsdüse befinden sich Bohrungen mit Düseneinsätzen, welche die mit hoher Geschwindigkeit austretenden Wasserstrahlen bündeln und auf die Rohrwandung richten. Dabei entsteht eine Reaktionskraft in der Reinigungsdüse, welche diese und den Schlauch in der ersten Phase in der Kanalhaltung gegen die Fließrichtung vom Startschacht zum Zielschacht befördert. Nach Ankunft der Reinigungsdüse im Zielschacht, wird diese in der zweiten Phase am Spülschlauch in Fließrichtung langsam zurückgezogen. Die austretenden Wasserstrahlen erhöhen die Fließgeschwindigkeit des Abwassers, lösen die Ablagerungen, wirbeln sie auf und transportieren sie als Suspension zum Startschacht, wo sie in der Regel mittels Vakuum über einen Schlauch abgesaugt werden (Animation 3.2.3-1) [NASSCO89a] [SIA190] [Führb80] [DIN30702-5:1987] [DIN30705:1991] [Veltr83].
Anzahl und Ausrichtung der Düseneinsätze, aber auch die Anzahl der Reinigungsdurchgänge pro Haltung sowie die Ziehgeschwindigkeit der Reinigungsdüse hängen von der Art der Verschmutzung, der Menge des zu transportierenden Räumgutes und dem Reinigungszweck ab.
Die bei der Hochdruckreinigung eingesetzte Technik ist in Fahrzeugen installiert.
Man unterscheidet zwischen folgenden Aufbauarten:
- Hochdruck-Spülfahrzeug
- Saugfahrzeug mit oder ohne Wasserabscheidung
- Kombiniertes Hochdruck-Spül- und Saugfahrzeug mit (Bild 3.2.3-1) oder ohne Wasserrückgewinnung.
Das zur Reinigung erforderliche Wasser wird dem Leitungsnetz über Standrohre und Sandfilter entnommen. Ein direkter Anschluß an einen Hydranten ist unzulässig [DIN1988-1] . Die Wasseraufnahme aus offenen Gewässern und Brunnen bedarf einer besonderen Ausrüstung des Hochdruckspülfahrzeuges. Beim Kombinierten Hochdruck- Spül- und Saugfahrzeug mit Wasserrückgewinnung wird das angesaugte Schmutzwasser gefiltert und dem HD-Spülgerät als Spülwasser wieder zugeführt (Bild 3.2.3-1) (Animation 3.2.3-2) . Dadurch werden die Anzahl der Unterbrechungen der Reinigung zur Wasseraufnahme reduziert, die effektive Reinigungszeit erheblich vergrößert und der Trinkwasserverbrauch minimiert.
Die in den Fahrzeugen installierten Pumpen müssen folgende Leistungsanforderungen erfüllen [ATVAG17397] :
Hochdruckpumpe:
Fördermenge je nach Art, Höhe und Konsistenz der Ablagerungen sowie Wasserführung:
- ca. 320 l/min bei DN 200 bis DN 800
- ca. 390-450 l/min bei DN 800 bis DN 1200
- ca. 640-800 l/min bei DN > 1200
Druck: 100-150 bar an der Hochdruckpumpe, 80-100 bar an der Reinigungsdüse
Vakuumpumpe:
Volumenstrom 750-1500 m3/h bei 60 % Vakuum. Ein Vakuum von 60 bis 90 % sollte erreicht werden; Sonderfahrzeuge verfügen über Pumpenleistungen von 3000-5000 m3/h bei 90 % Vakuum.
"Die Hochdruckspülschläuche müssen den Sicherheitsbestimmungen genügen und für den maximalen Betriebsdruck der Hochdruckanlage zugelassen sein (Tabelle 3.2.3-1). Beim Wassertransport im Hochdruckschlauch entsteht ein Reibungswiderstand, der den Wasserdruck reduziert. Eine hohe Fließgeschwindigkeit bewirkt einen hohen Druckverlust. Die Schlauchlängen herkömmlicher Fahrzeuge betragen 120 bis 200 m. Für Sonderreinigungsmaßnahmen gibt es Spezialfahrzeuge mit Schlauchlängen bis 800 m. Den Druckverlust in den Spülschläuchen kann man mit Zugabe eines patentierten Strömungsbeschleunigers reduzieren [ATVAG17397] ."
Leistungsparameter | Richtwerte | |
---|---|---|
Schlauchdurchmesser | bis 325 l/min - DN 25 | |
bis 650 l/min - DN 32 | ||
bis 800 l/min - DN 40 | ||
Gewicht | Kunststoff: | DN 25 ~ 0,5 kg/m |
DN 32 ~ 0,9 kg/m | ||
Gummi: | DN 25 ~ 1,0 kg/m | |
DN 32 ~ 1,1 kg/m | ||
DN 40 ~ 1,4 kg/m | ||
Grundsätzlich gilt: möglichst leicht | ||
Länge | Abhängig von der Pumpenleistung und dem Einsatzbereich > 120 m | |
Innerer/Äußerer Reibwert | Kunststoffschläuche haben die besseren Reibwerte als entsprechende Gummischläuche | |
Druckfestigkeit | Der zulässige Betriebsdruck des Schlauches soll um ca. 50 bar größer als der maximale Betriebsdruck der Hochdruckanlage sein; der Berstdruck muß mindestens das 2,5-fache des zulässigen Betriebsdruckes des Schlauches betragen. | |
Biegeradius | möglichst klein (150 - 200 mm) | |
Druckverlust | Kunststoff und Gummi | |
DN 25 bei V = 300 l/min ~ 0,37 bar/m | ||
DN 32 bei V = 400 l/min ~ 0,20 bar/m | ||
DN 40 bei V = 650 l/min ~ 0,17 bar/m |
Für unterschiedliche Verschmutzungen und Kanalquerschnittsformen und Reinigungsziele stehen verschiedene Reinigungsdüsen zur Verfügung [McCar84] [WPCF85] (Bild 3.2.3-2) (Bild 3.2.3-3) (Bild 3.2.3-4) . Nach [ATVAG17397] werden sie unterteilt in:
- Radialdüsen (Wasseraustritt radial auf dem Düsenumfang verteilt),
- Sohlendüsen (Wasseraustritt in Richtung Rohrsohle),
- Rotationsdüsen (Wasseraustritt radial auf dem Düsenumfang verteilt; Reinigungsdüse drehbar gelagert) (Bild 3.2.3-5) (Bild 3.2.3-6) (Bild 3.2.3-7) sowie
- Reinigungsdüsen zur Beseitigung von Verstopfungen (Wasserstrahlen nach hinten und vorne gerichtet).
Die maßgebenden Leistungsparameter und die zugehörigen Richtwerte enthält (Tabelle 3.2.3-2) .
Leistungsparameter | Richtwerte |
---|---|
Äußere/Innere Formgebung | Äußerlich runde Formen, im Inneren konkave Formgestaltung, dadurch günstige Wasserumlenkung |
Gewicht | In Abhängigkeit von Kanaldurchmesser und -profil; ein "Aufschwimmen" ist auszuschließen |
Strahlwinkel (Winkel zwischen Wasserstrahlen und Rohrachse) | Strahlwinkel ca. 15-30° |
kleiner Strahlwinkel: gute Vortriebsleistung, schlechtere Reinigungsleistung | |
großer Strahlwinkel: geringere Vortriebsleistung, gute Reinigungsleistung | |
Anzahl der Düseneinsätze | Wenige Düseneinsätze mit großem Durchmesser bewirken eine große Vortriebsleistung; viele Düseneinsätze mit kleinem Durchmesser bewirken eine flächige Reinigung, aber eine geringere Vortriebsleistung; dünne Wasserstrahlen zerstäuben schneller als dicke Wasserstrahlen |
In Versuchen wurde folgendes festgestellt:
"Bei einem kleinen Austrittswinkel (z.B. 15°) wird die Druckwasserenergie zu 97 % in Vortriebsleistung umgesetzt. Es ist aber noch genug Energie zum Lösen leichter Ablagerungen vorhanden, die mit der ausströmenden Wassermenge zum Kanalschacht gespült werden. Zur Reinigung stark verschmutzter Kanal- und Rohrleitungen sollten Reinigungsdüsen mit einem größeren Austrittswinkel (vorzugsweise 30°) eingesetzt werden (Bild 3.2.3-8) . Dieser Austrittswinkel garantiert eine gute Ablösung der festen Ablagerungen und Verkrustungen an der Rohrwand und sichert zudem ein ausreichendes Energiepotential für den Vortrieb der Reinigungsdüse im Kanal" [FI-Müller] .
Reinigungsleistung und Vortriebskraft können nach [Störn90] zusätzlich mit Hilfe eines Schlittens zur Vermeidung des unmittelbaren Kontaktes zwischen Reinigungsdüse und Rohrwandung gesteigert werden (Bild 3.2.3-9) .
Reinigungsdüsen von Hochdruckspülgeräten sind so einzusetzen, daß ein Umkehren in der Haltung vermieden wird.
Diese Forderung wird eingehalten, wenn:
- eine im Verhältnis zum Kanal richtig dimensionierte Reinigungsdüse eingesetzt und durch Verwendung eines Drehgelenks zwischen dieser und dem Spülschlauch eine Verdrillung des Schlauches vermieden
oder
- zwischen Reinigungsdüse und Spülschlauch eine biegesteife Verlängerung eingesetzt wird.
Eine neue Entwicklung auf dem Gebiet der Rotationsdüsen ist die druck- und volumenunabhängig steuerbare Rotationsdüse ROTO JET (Bild 3.2.3-10) (Bild 3.2.3-11) [FI-IBG] . Mit einer Drehzahl von 50 bis 600 U/min und einem Arbeitsdruck von 300 bis optional 1000 bar ermöglicht diese nach Herstellerangaben eine schnelle Beseitigung von Feststoffen und Ablagerungen aus Kanälen im Nennweitenbereich von DN 150 bis DN 4000 (je nach Typ) sowie Eiquerschnitten.
Bei Arbeiten mit Hochdruckspülgeräten ist der Bildung von Aerosolen - feinst in der Luft verteilte Abwassertröpfchen - im Bereich der Schachtöffnung vorzubeugen.
Dies ist u.a. erreichbar durch [ATVAG17397] :
- Einsatz von Pendeldüsen bei großen Schachtquerschnitten,
- Reduzierung des Pumpendruckes ca. 10 m vor Erreichen des Startschachtes (diese Kanalstrecke ist nach dem Umsetzen des Fahrzeugs zum nächsten Schacht mit entsprechender Pumpenleistung zu überfahren, um angehäuftes Material weiterzutransportieren) und
- Abdeckung der Schachtöffnung mit dünnem Stahlblech oder Kunststoff mit Durchführungsöffnungen für Hochdruck- und Saugschlauch.
Eine Neuentwicklung stellt der in (Bild 3.2.3-12) , (Bild 3.2.3-13) und (Bild 3.2.3-14) dargestellte Sohlenreiniger mit integrierter, selbstausleuchtender TV-Kamera dar. Die Bildübertragung zwischen der mit einem Sender (Reichweite ca. 300 m) ausgestatteten TV-Kamera und dem Empfänger erfolgt über eine Funkverbindung [FI-KEG] .
Aufgrund der kontinuierlichen Überwachung des Reinigungsvorganges kann nach Herstellerangaben die Reinigungsleistung individuell dem Verschmutzungsgrad angepaßt werden, so daß sich eine Reduzierung des Energie- und Wasserverbrauches sowie eine Minimierung des Zeitaufwandes erzielen läßt. Außerdem kann eine gezielte TV-Inspektion ausgelöst werden, wenn Schäden im Kanal während des Reinigungsvorganges erkannt und lokalisiert werden.
Dieses System ermöglicht ein Arbeiten im Nennweitenbereich von DN 200 bis DN 1200 bei Temperaturen zwischen -5° C und +40° C. Mit dem HD-Spülverfahren können nach Herstellerangaben bei geringem Personaleinsatz (2 Personen) sehr hohe Leistungen erzielt werden (ohne Wasseraufbereitung bis 2.000 m pro Tag; mit Wasseraufbereitung bis 3.000 m pro Tag). Durch eine Spülwasserbeheizung sind Arbeiten auch bei Temperaturen unter 0° C möglich. Dem Spülwasser beigefügte Polymere bewirken eine Reduzierung der Reibungsverluste innerhalb des Schlauches, so daß sich bei großen Haltungslängen (z.B. Deponieentwässerung) Schlauchlängen von bis zu 800 m erzielen lassen [FI-Müller] .
Die Reinigung mit dem HD-Spülverfahren ist in Abwasserleitungen und -kanälen bis ca. DN 2.500 wirtschaftlich einsetzbar. Verstopfungen können in vielen Fällen durch Wahl einer Reinigungsdüse mit zusätzlich nach vorne gerichteten Düseneinsätzen beseitigt werden. Bei den in (Bild 3.2.3-15) dargestellten Varianten mit Bohrspitze dringt diese in die Verstopfung ein und spült die Ablagerungen nach hinten weg [FI-KEG] .
Im begehbaren Bereich kann für Sonderzwecke eine Reinigung auch mit Hilfe manuell betätigter Hochdruckspüler durchgeführt werden.
Bei der Anwendung von Hochdruckspülverfahren sind die entsprechenden Unfallverhütungsvorschriften zu beachten.
Bei der Anwendung von Hochdruckspülverfahren sind neben den im (Abschnitt 7.1) erwähnten Unfallverhütungsvorschriften noch folgende zu beachten:
- GUV 5.1: Fahrzeuge [GUV51] ,
- GUV 12.9: Richtlinien für Flüssigkeitsstrahler [GUV129] ,
- ZH 1/406: Richtlinien für Flüssigkeitsstrahler [ZH1406] ,
- GUV 7.4: Abwassertechnische Anlagen [GUV74b] ,
- GUV 17.6: Sicherheitsregeln für Arbeiten in umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen [GUV176b] ,
- GUV 3.9: Arbeiten mit Flüssigkeitsstrahlern [GUV39] ,
- GUV 25.1: Merkblatt Warnkleidung [GUV251] ,
- Dienst und Betriebsanweisungen der Kanalnetzbetreiber,
- ATV-Arbeitsblätter (insbesondere ATV-A 140 [ATVA140] , ATV-A 147 [ATVA147-1] ).