Eindringen von Grundwasser (Infiltration) und Bodenmaterial
Liegen undichte Freispiegelkanäle bzw. Bauwerke der Ortsentwässerung ständig oder zeitweise im Grundwasser (Bild 2.2.3.2-1) , kommt es zur Grundwasserinfiltration (Bild 2.2.3.2-1) (Bild 2.2.3.2-2) , wobei gleichzeitig auch Bodenmaterial aus der Leitungszone mit eingespült werden kann.
Infiltrierendes Grundwasser zählt zur Kategorie des Fremdwassers und ist somit ein unerwünschter Bestandteil des abzuleitenden Schmutzwassers [ATV82] [Graf84] [Klass85] [Liers85] .
Fremdwasser:
Nach DIN 4045 [DIN4045:1985] versteht man unter Fremdwasser in die Kanalisation eindringendes Grundwasser (Undichtigkeiten), unerlaubt über Fehlanschlüsse eingeleitetes Wasser (z.B. Dränwasser, Regenwasser) sowie einem Schmutzwasserkanal zufließendes Oberflächenwasser z.B. über Schachtabdeckungen).
Fremdwasser:
In der derzeitig gültigen DIN EN 752 Teil 1 [DINEN752:1995], die als teilweiser Ersatz der DIN 4045 [DIN4045:1985] vorgesehen ist, wird Fremdwasser als "unerwünschter Abfluß in einem Entwässerungssystem" definiert.
Eine erste systematische Ermittlung des Fremdwasseranteils auf breiterer Grundlage wurde im Jahre 1979 an etwa 250 bayerischen Kläranlagen durchgeführt. Der festgestellte Fremdwasseranteil, bezogen auf das übrige Schmutzwasser, betrug im Mittel 55 %. Nur bei ca. 33 % der Anlagen lag der Anteil unter 25 %, dafür aber bei rd. 25 % der Anlagen über 100 % [ATV82] .
Der errechnete mittlere Fremdwasserzufluß für das gesamte Entwässerungsnetz der Stadt Hamburg liegt mit ca. 80 l/Ed noch unter dem mit 88 l/Ed ermittelten Durchschnittswert für Großstädte [Kocks79] . Für das innerstädtische Mischwassernetz wird bedingt durch dessen Altersstruktur von 100 l/Ed Fremd- und Infiltrationswasserzufluß ausgegangen [Hambu85a] .
Das bedeutet, daß in diesen Stadtteilen mit ca. 750.000 angeschlossenen Einwohnern eine Grundwassermenge von etwa 75.000 m3/d und, bezogen auf Hamburg (gesamt), von etwa 120.000 m3/d über die Kanalisation abgeführt wird.
Besonders extreme Verhältnisse offenbarte eine in Niedersachsen durchgeführte Untersuchung bezüglich des Fremdwasserzulaufs in Schmutzwasserkanäle. Sie ergab, daß teilweise 300 % bis 400 % Fremdwasser bezogen auf das Schmutzwasser anfallen [Liers85] .
Besonders problematisch werden in diesem Zusammenhang Hausanschlüsse und Grundstücksentwässerungen angesehen, die nach [Liers85] nur 10 % der Baukosten, aber fast 90 % der Fremdwasserprobleme verursachen.
Nach Daten der Statistik betrug der mittlere, jährliche Fremdwasserzufluß im Jahre 1983 in den westlichen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland rund 80% des anfallenden Schmutzwassers [Hambu85a] .
Bei diesen Angaben wird immer die Gesamtmenge des Fremdwassers in der Kanalisation betrachtet, da eine Unterscheidung zwischen Fremdwasser, das durch Undichtigkeiten eintritt, und solchem aus Fehlanschlüssen nicht möglich ist.
Untersuchungen [IKT96] haben gezeigt, daß Dränagen und insbesondere Hausdränagen in Hanglage erhebliche Fremdwassermengen in das Kanalnetz einspeisen.
Seit Beginn der modernen Kanalisation im vergangenen Jahrhundert hat man sich an das Vorhandensein von Fremdwasser gewöhnt und dies auch grundsätzlich bei der hydraulischen Kanaldimensionierung in Form eines Zuschlages von 100 % des Schmutzwassers [ATVA118:1997] [Peche85] berücksichtigt.
Wie die oben angeführten Zahlen zeigen, stimmen die hydraulischen Berechnungsannahmen in vielen Fällen nicht mehr mit der Realität überein. Sie sind sicherlich auch ein eindeutiges Indiz für den schlechten Istzustand unserer Kanalisationen, obwohl bisher noch nicht systematisch der Anteil des durch Undichtigkeiten infiltrierenden Grundwassers am Fremdwasser ermittelt wurde. Daß dieser große Werte annehmen kann, zeigt ein Beispiel aus Basel, wo man eine Strecke stillgelegt hat, in die bei extrem hohen Grundwasserständen bis zu 10 l/s pro 100m infiltrierten [Graf84] .
Schadensfolgen der Infiltration sind nach [ATVM143-2:1999] :
- Erhöhung des Fremdwasseranteils, dadurch Erhöhung der Schadstofffracht in den Vorfluter, der Kosten für Abwassertransport und Abwasserreinigung sowie der Abwasserabgabe
- Erhöhung des Wartungsaufwandes
- Hydraulische Mehrbelastung, ggf. Überlastung der Kanäle, Pumpwerke oder Kläranlagen
- Absenkung des Grundwasserspiegels, verbunden mit Schäden an der Bebauung und am Bewuchs
- Verfestigte Ablagerungen, Inkrustation
- Änderung der Bettungsbedingungen mit Folgeschäden, wie Lageabweichungen, Verformung, Risse, Rohrbruch oder Einsturz
- Hohlraumbildung, verbunden mit Setzungen und/oder Einstürzen
- Wurzeleinwuchs.
Erhöhte Fremdwasseranteile in Mischwasserkanalnetzen führen zu einer Zunahme des Gesamtabflusses und verursachen steigende Entlastungshäufigkeiten und längere Entlastungsdauern an Überlaufbauwerken.
Mit den erhöhten Mischwasserentlastungsfrachten infolge Fremdwassers sind wesentlich erhöhte Schmutzfrachtausträge in die Gewässer verbunden [Dohma89] . In der Kanalisation selbst erhöht sich dadurch die Gefahr der Abwasserexfiltration, ein Sekundäreffekt, der in Zukunft im Interesse des Gewässerschutzes mehr Berücksichtigung als bisher finden muß [Stein88g] .
In der Kläranlage führt der Fremdwasseranteil durch Verringerung der Verschmutzungskonzentration des Abwassers zu einer Reduzierung der Reinigungsleistung [Peche89] .
Könnte also der Fremdwasseranteil vermindert werden, würde die Reinigungsleistung der Kläranlage ansteigen und somit ein höherer Schutz der Oberflächengewässer erreicht werden (Bild 2.2.3.2-1) [Damie85] .
Daß infiltrierendes Grundwasser neben den o.a. ökologischen Aspekten auch einen ökonomischen Stellenwert besitzt, wird in [Ehner80] belegt. Danach betrugen die Kosten für die Abwasserbehandlung im Jahre 1980 ca. 3.000,- DM/l Fremdwasser und Jahr.
Werden mit dem infiltrierenden Grundwasser Bodenpartikel infolge Erosion oder Suffusion mit eingespült, so führt dies einerseits zu verstärkten Ablagerungen bis hin zu Verstopfungen (Abschnitt 2.3.1) und andererseits zu Änderungen der Bettungsbedingungen durch Auflockerung des Bodens in der Leitungszone bzw. einer mehr oder weniger großen Hohlraumbildung [WRC83] [NN86g] [Quick79] . Die beiden letztgenannten Schadensfolgen führen zur Beeinträchtigung der Standsicherheit des Kanals und stellen Ausgangspunkte für Folgeschäden bis zum Einsturz dar.
Die (Animation 2.2.3.2-1) zeigt das Verhalten von Schluffen und Sanden im Bereich einer Undichtigkeit. Bei Grundwasserinfiltration oder Fremdwasserzustrom, z.B. aus undichten Wasserversorgungsleitungen, werden feinere Bodenpartikel solange ausgespült (Animation 2.2.3.2-1) , bis sich oberhalb der Undichtigkeit ein stabiler Filter aufbaut (Animation 2.2.3.2-1) .
In Abhängigkeit der Kornverteilung und der Lagerungsdichte ist es möglich, auf diese Art und Weise z.B. Undichtigkeiten zu überbrücken, auch wenn die Leckageabmessungen mehrfach größer sind als die maximale Korngröße. Dieser Filter kann durch Überlastung/Überflutung, stark wechselnde Wasserstände, Hochdruckreinigung oder Dichtheitsprüfungen mit Wasser zerstört werden (Animation 2.2.3.2-1) , so daß bis zum Einstellen eines neuen Gleichgewichtszustandes auch solche Bodenpartikel eindringen können, deren Größe nahezu der Leckageöffnung entsprechen [Jones84a] .
Bei bindigen Böden findet die Bodenerosion im Bereich von Schadensstellen vornehmlich durch Überlastung/ Überflutung oder stark wechselnde Wasserstände im Kanal statt (Bild 2.2.3.2-2) . Bedingt durch die dabei auftretende Strömung, werden die Kohäsion aufgehoben und der Abtrag ermöglicht. Die Erosionsrate wird von Schadensart und -umfang, von der Lagerungsdichte und der Plastizität des bindigen Bodens sowie von der Größe der der Strömung ausgesetzten Fläche beeinflußt.
Durch die innere Erosion erzeugte Hohlräume können sich im Laufe der Zeit so stark vergrößern, daß Setzungen oder bis zur Geländeoberfläche reichende Verbrüche eintreten (Bild 2.2.3.2-3) .
Beide gefährden sowohl die Bebauung als auch den Verkehr. Da sich während dieses Prozesses das jeweilige Schadensbild nicht zwangsläufig verändern muß, liefert die indirekte optische Inneninspektion in der Regel auch keinen Aufschluß über diese Vorgänge. Zur Erfassung des Schadensausmaßes und als Grundlage für die Sanierungsmaßnahme ist deshalb eine Hohlraumortung notwendig.
Ein besonders gravierender Schadensfall trat 1957 in Seattle, USA, im Bereich eines aufgrund des hügeligen Geländes in 45 m Tiefe im Schluff verlegten Mischwasserkanals auf [NN86g] . Bei diesem zwischen 1910 und 1913 in geschlossener Bauweise hergestellten Kanal mit ca. 2 m Durchmesser wurde zur Ableitung des anfallenden Wassers während der Baumaßnahme eine Dränage verlegt, die jedoch nach Bauende nicht verfüllt, sondern nur mit Holzstopfen verschlossen wurde (Bild 2.2.3.2-4) (Bild 2.2.3.2-5) . Diese verrotteten im Laufe der Zeit, so daß mit dem dann wieder einfließenden Wasser auch Boden mit abgetragen wurde. Bedingt durch die dadurch veränderten Bettungsbedingungen, aber auch durch sporadisch auftretende Rückstauereignisse, traten im gemauerten Kanalbereich Längsrisse auf, durch die zusätzlich Boden mit dem Grundwasser infiltrierte. Alle diese Faktoren bewirkten die Bildung eines so großen Hohlraumes, der beim Einsturz zu einem 45 m tiefen Krater mit Abmessungen von ca. 30 m x 40 m an der Geländeoberfläche führte.
Abschließend sei darauf hingewiesen, daß jede Grundwasserinfiltration eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 41 Abs. 1 Ziff. l WHG darstellt, da die unerlaubte Grundwasserentnahme (Einziehen ins Kanalnetz) und -ableitung (Dränwirkung) ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ziff. 6 WHG ist.