Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Investitionsentscheidungen
Die Sicherung einer funktionsfähigen Abwasserbeseitigung und damit die Vorhaltung und Sanierung der Kanalnetze ist eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge. Auch bei den Varianten der Übertragung von Aufgaben der Entwässerung auf private Rechtsformen kommt den Kommunen letztlich eine Garantiepflicht gegenüber dem Bürger zu. In den meisten Fällen werden die Kosten der Abwasserbeseitigung durch die den kommunalen Haushalten zufließenden und zu deren Gesamtdeckung beitragenden Abwassergebühren aufgebracht. Bei anderen Organisationsformen wie z.B. kommunalen Eigenbetrieben stehen die Gebühren über eigene Wirtschaftspläne den Betreibern direkt zur Verfügung.
Im Zusammenhang mit der Durchführung von Investitionen sind in der Bundesrepublik Deutschland die Bestimmungen der Bundes- bzw. Landeshaushaltsordnung [BHO69] bindend. Diese fordern vor der Realisierung von Projekten größerer finanzieller Bedeutung Nutzen-Kosten-Untersuchungen. Damit soll für den begrenzten Rahmen öffentlicher Investitionsmittel sichergestellt werden, daß die letztlich realisierten Projekte ein Maximum an Zuwachs des individuellen Nutzens liefern. Die Summe des individuellen Nutzens, welcher als Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Individuen der Volkswirtschaft in Form einer Vergrößerung der zur Verfügung stehenden Menge nachgefragter Güter oder in einer Verbesserung der Konsummöglichkeiten infolge verbesserter Preisbedingungen für nachgefragte Güter bestehen kann, kann letztlich als Verbesserung der sozialen Wohlfahrt beschrieben werden.
Hanusch [Hanus94] stellt die aus volkswirtschaftlichen Zusammenhängen resultierenden Möglichkeiten der Nutzen-Kosten-Untersuchungen dar. Er nennt folgende typischen Entscheidungssituationen, bei denen Nutzen-Kosten-Untersuchungen durchzuführen sind:
- es ist zu entscheiden, ob ein einzelnes Projekt realisiert werden soll;
- es ist zu entscheiden, welche Projekte aus einer größeren Anzahl bei begrenztem Budget auszuwählen sind;
- es ist zu entscheiden, welches von sich gegenseitig ausschließenden Projekten zu realisieren ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß jede öffentliche Investition Mittel einsetzt, die alternativ privat für Konsum oder Investition zur Verfügung stehen.
Die volkswirtschaftliche Beurteilung von Investitionen umfaßt theoretisch alle von der Entscheidung beeinflußten Projektwirkungen, die sich nach [Hanus94] wie folgt gliedern lassen:
- Direkte (interne) Projektwirkungen sind solche, die mit dem Projektziel unmittelbar zusammenhängen. Dies kann bei der Sanierung eines Kanals in der Verminderung der versickernden Abwassermenge bestehen oder in der Reduzierung des Kläranlagenzuflusses durch Verminderung des Fremdwassers.
- Indirekte (externe) Projektwirkungen sind nicht angestrebte Effekte, wie beispielsweise Lärm- und Schadstoffbelastungen, aber auch wirtschaftliche Belastungen nicht vom Projektziel Betroffener.
- Tangible Wirkungen sind solche, die (in der Regel) monetär meßbar sind. Dies können sowohl direkte als auch indirekte Wirkungen sein.
- Intangible Wirkungen sind monetär nicht erfaßbar. Beispiele sind das ästhetische Empfinden bei Eingriffen in das Stadtbild oder in Natur und Landschaft. Ebenso kann die Änderung des subjektiven Wohlbefindens (und damit verminderter Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft) zu den intangiblen Wirkungen gehören.
Zur Aggregierung von Investitionsentscheidungen unter Berücksichtigung der verschiedenen Projektwirkungen stehen eine Reihe von Methoden zur Verfügung. Sind alle Wirkungen monetär erfaßbar, so können die Gegenwartswerte der Nutzen und Kosten, also deren auf den Entscheidungszeitpunkt bezogenen Geldwerte, zur Beurteilung einer Investition herangezogen werden. Dazu können sowohl die Differenz aus Nutzen und Kosten, ausgedrückt als kapitalisierter Wert oder als Annuitäten, sowie der Quotient aus Nutzen und Kosten oder der Zinsfaktor, bei dem der Nutzen die Kosten innerhalb eines Planungszeitraumes übersteigt, als Kriterien festgelegt werden. Aus einer Anzahl von Projektalternativen können sich bei den einzelnen Kriterien durchaus unterschiedliche Projekte als sinnvollste Lösungen herausstellen.
Bei Projekten mit mehreren Zielsetzungen oder mit einer Vielzahl von Wirkungen sind neben den oben genannten Entscheidungsverfahren weitere entwickelt worden, die auch mit nicht monetären Einheiten arbeiten. Diese Verfahren (Nutzwertanalyse, Kosten-Nutzwert-Analyse, offene Bewertungsverfahren) sollen hier jedoch nicht näher beschrieben werden (zum Einstieg wird verwiesen auf [LAWA93a] [LAWA81] ), weil bei Kanalsanierungen das Projektziel relativ gut konkretisiert werden kann, die Wirkungsvielfalt begrenzt ist und monetär begründete Entscheidungen üblich sind.
Die Subsumierung von Kanalsanierungsprojekten unter die oben genannten typischen Entscheidungssituationen ist jedoch in Frage zu stellen, da der öffentliche oder private Netzbetreiber sich letztlich nicht gegen ein Projekt entscheiden kann, sofern tatsächlich Kanalschäden festgestellt werden. Die Aufgabe besteht für die bereits geschädigten Kanäle demgegenüber in der Realisierung vieler Projekte bei begrenztem Budget, wobei die Bauverfahrensalternativen Einfluß auf die Wirtschaftlichkeit besitzen können.
Die Wirtschaftlichkeit soll sich durch die Entscheidung zwischen Alternativen bei einem zu realisierenden Projekt ergeben und nicht durch eine ja/nein-Entscheidung der Frage, ob ein Projekt realisiert werden soll. Für die nicht beschädigten Kanäle ist ein Minimum aus Betriebskosten (einschließlich baulicher Unterhaltung) und den damit beeinflußbaren Investitionskosten zu erreichen.
Kanalsanierungsprojekte dürften in der Regel keine Erhöhung des Nutzenniveaus einzelner Subjekte der Volkswirtschaft ergeben; allenfalls können verringerte Umwelt- und Sachschadensrisiken als solche aufgefaßt werden. Es ist deshalb davon auszugehen, daß bei Entscheidungen im Zusammenhang mit Kanalsanierungsprojekten nicht volkswirtschaftliche sondern betriebswirtschaftliche Erwägungen im Vordergrund stehen, die darauf gerichtet sind, mit möglichst geringem Mitteleinsatz einen betriebssicheren Netzzustand zu erhalten.
Der Maßnahmenträger kann mit der Investition kaum seine Produktivität positiv beeinflussen - allenfalls die Kosten seiner Tätigkeit senken. Insofern kommt von den oben genannten Entscheidungsverfahren lediglich die Differenzbetrachtung von Nutzen und Kosten in Betracht, die auch bei einer Nutzengröße von Null Geldeinheiten zu Lösungen führen. Diese soll nachfolgend näher erläutert werden.
Andererseits ist jedoch nicht zu übersehen, daß wegen des öffentlichen Charakters der Aufgabe "Abwasserableitung" direkte Wirkungen und Kosten allein nicht in allen Fällen für eine Entscheidung ausreichen. Sofern sich konkurrierende Bauverfahren zur Projektrealisierung gegenüberstehen, die unterschiedlich starke indirekte Wirkungen erwarten lassen, ist deren Berücksichtigung zumindest dann interessant, wenn die monetarisierten indirekten Wirkungen die Differenz der (direkten) Kosten der Bauverfahren erheblich übersteigen. Es kann sich daher anbieten und sogar erforderlich werden, die monetarisierten Differenzen der indirekten Wirkungen ebenfalls in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Außerdem ist festzustellen, daß der Entscheidungsträger zunehmend mit den indirekten Wirkungen der von ihm initiierten Baumaßnahme mit dem Ziel konfrontiert wird, ein bestimmtes Bauverfahren zu wählen. Die Möglichkeit der Berücksichtigung indirekter Wirkungen bei der Entscheidungsfindung kann also aus mehreren Gründen bedeutsam sein (Abschnitt 5.6.2) .