Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Schildvortrieb mit Tübbingauskleidung

Animation 5.4.3.2-1:  Anordnung der Vortriebspressen beim konventionellen Schildvortrieb in Anlehnung an [ATV95:1995] [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]
image
Bild 5.4.3.2-1: 

Schildsystematik in Abhängigkeit von der Abbaumethode an der Ortsbrust [FI-Gewer]

image
Bild 5.4.3.2-2: 

Schemadarstellung der Stahlbetontübbinge [Tunnel77]

image
Bild 5.4.3.2-3: 

Prinzipskizze des Mini-Tunnel-Systems [FI-Mini]

Zum Schild gibt Brunels Patentanmeldung vor 160 Jahren die Definition: "Ein stählerner Mantel wird in das nicht standfeste Gebirge mit Pressen oder Spindeln geschoben. Im Schutze dieses Mantels wird in dessem vorderen Bereich der Boden abgebaut. Die hintere Verlängerung des Mantels, auch Schildschwanz genannt, überlappt die schon errichtete Stollenauskleidung, so daß unter seiner Bedeckung die Stollenauskleidung entsprechend dem Vorschub in kurzen Abständen weitergebaut werden kann" (Animation 5.4.3.2-1) .

Im vorliegenden Anwendungsfall - der Erneuerung begehbarer Kanäle mit ausreichender Überdeckungshöhe - hat der Schild in erster Linie die Aufgaben, das Gebirge radial zu stützen, die Mannschaft zu schützen, den für die Freilegung und den Abbau des Altkanals sowie für die Verlegung des neuen Kanals nötigen Hohl- bzw. Arbeitsraum zu schaffen, die Ortsbrust gegen hereinbrechendes Gebirge zu sichern und die Vortriebsstrecke bei Einhaltung der zugelassenen Abweichungen auf der geplanten Trasse und Gradiente zu steuern.

Schilde werden je nach Abbaumethode an der Ortsbrust unterteilt in (Bild 5.4.3.2-1) :

  • Handschilde
  • Mechanisch teilflächig abbauende Schilde
  • Mechanisch vollflächig abbauende Schilde.

Im vorliegenden Anwendungsfall kommen in der Regel Handschilde oder mechanisch teilflächig abbauende Schilde zum Einsatz.

Bei Handschilden [Maidl95a] mit Durchmessern ab 1,20 m erfolgt der Abbau des Bodens an der Ortsbrust und das Entfernen des zu erneuernden Kanals von Hand unter Verwendung von Hilfswerkzeugen; bei mechanisch teilflächig abbauenden Schilden mit Hilfe von Teilschnittmaschinen.

Zur Vermeidung von Oberflächensetzungen kann es erforderlich sein, die Ortsbrust durch geeignete Maßnahmen, z.B. mittels Brustplatten, zu stützen. Bei Grundwasserandrang ist eine Wasserhaltung (s. [ATVA125:1996] ) vorzunehmen.

Die Auskleidung des aufgefahrenen Hohlraumes erfolgt mit Hilfe sogenannter Tübbinge. Hierbei handelt es sich um vorgefertigte Auskleidungselemente aus Beton, Gußeisen oder Stahl, die im Schutze des Schildschwanzes unter Einschub eines keilförmigen Schlußsteins zu Ringen zusammengesetzt werden (Bild 5.4.3.2-2) .

Weite Verbreitung haben Betontübbinge gefunden, die unter Berücksichtigung betontechnologischer Erfahrungen aus der Fertigteilherstellung als unbewehrte, stabstahl- oder faserbewehrte Fertigteile ausgeführt werden [Maidl95a] .

Benachbarte Ringe sind in der Regel durch Nut und Feder sowie über eine Montageverschraubung miteinander verbunden, wobei die Tübbingfugen gegen Grundwasser abzudichten sind. Der durch die Schildschwanzspur bedingte Hohlraum zwischen den Tübbingringen und der Stollenleibung wird durch spezielle Öffnungen in den Elementen mit Zementsuspension verpreßt.

Die Tübbingauskleidung fungiert im vorliegenden Anwendungsfall als vorübergehende Sicherung für die Verlegung der eigentlichen Produktrohrleitung entsprechend (Abschnitt 5.3.2.2.2) . Weitere Informationen über dieses Bauverfahren sind [Stein95e] [Maidl95a] zu entnehmen.

Nachfolgend wird der Schildvortrieb mit Tübbingauskleidung am Beispiel des in Großbritannien entwickelten Mini-Tunnel-Systems [FI-Mini] [Gale81b] beschrieben (Bild 5.4.3.2-3) . Der Schild wird von 6 hydraulischen Vortriebszylindern von ca. je 120 kN vorgetrieben, die sich über einen Stahlrahmen auf dem jeweils zuletzt eingebauten Betontübbingring abstützen.

Der Ausbau besteht aus je drei vorgefertigten, unbewehrten 120°-Betontübbingen. Zusammengefügt ergeben sie einen stabilen und formgenauen Kreisring.

Der Mehrausbruch zwischen Gebirge und Tübbingausbau von etwa 6 bis 10 cm wird mit Kies der Körnung 3 bis 6 mm verfüllt und anschließend mit Zementmörtel verpreßt.

Der Startschacht kann, wie beim bergmännischen Stollenvortrieb, auch außerhalb der Kanaltrasse angeordnet werden. Unabhängig von seiner Tiefe beträgt der Durchmesser 2,5 bis 2,8 m.

Das Mini-Tunnel-System ist im Durchmesserbereich von 1,0 (in der Bundesrepublik Deutschland erst ab 1,2 m) bis 2,0 m bei einer Mindestüberdeckung von 3,0 m einsetzbar [Stein80a] .

Der Schild ist eine in sich geschlossene Anlageneinheit für deren Betrieb lediglich die Druckluft eines üblichen Baukompressors erforderlich ist. Mit der Druckluft wird eine pneumatisch-hydraulische Pumpe zur Versorgung der Vortriebszylinder angetrieben. Im rückwärtigen Teil des Schildes befindet sich ein Spezialerektor für die Montage der Tübbinge. Unmittelbar mit dem Schildvortrieb erfolgt der Abbau des Altkanals.

Die Vorflut kann entweder durch eine oberirdische Leitung oder, bei ausreichendem Platzangebot, durch eine im aufgefahrenen Stollen mitgeführte Leitung gesichert werden (Abschnitt 5.5) .

Alle Anschlußkanäle sind vorab in offener Bauweise (Abschnitt 5.5) oder vor der Schildschneide abzutrennen, exakt einzumessen und der an dieser Stelle zu plazierende Betontübbing mit einer entsprechenden Öffnung zu versehen.

Nach Fertigstellung des durch die Tübbingauskleidung gesicherten Stollens erfolgt die Verlegung des neuen Kanals. Der verbleibende Ringraum zwischen Tübbingauskleidung und Kanal wird verfüllt.

Bezüglich der Vor- und Nachteile des Verfahrens gelten prinzipiell die des bergmännischen Stollenvortriebes. Darüber hinaus sind der Mechanisierungsgrad der einzelnen Arbeitsvorgänge höher und das Sicherheitsrisiko geringer.

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)