Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Bergmännischer Stollenvortrieb

Der bergmännische Stollenvortrieb findet bevorzugt Anwendung bei nichtbegehbaren zu erneuernden Kanälen mit ausreichender Überdeckungshöhe.

Der zu erneuernde Kanal wird im Schutze einer vorübergehenden Sicherung freigelegt, abgebaut und durch einen neuen ersetzt. Der Abbau des Bodens und Altkanals erfolgen von Hand unter Verwendung von Hilfswerkzeugen. Als vorübergehende Sicherung finden Ausbaubögen aus Rundstahl oder speziellen Stahlprofilen, die in den Stollenquerschnitt gestellt werden, Anwendung. Der Zwischenraum wird durch einen aufgelegten Verzug aus Holzdielen (Bild 5.4.3.1-1) , Kanaldielen oder Blechen (Bild 5.4.3.1-2) (Bild 5.4.3.1-3) , z.B. Kölner Bleche, gesichert.

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Bild 5.4.3.1-1: 

Bergmännischer Stollenvortrieb mit Getriebezimmerung - Abbau der Ortsbrust

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Bild 5.4.3.1-2: 

Vorauseilendes Einschlagen eines Stahlverzuges ("Kölner Bleche") [FI-maagh]

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Bild 5.4.3.1-3: 

Stollenvortrieb mit Kanaldielenverzug und Verschließen von Hohlräumen mit Spritzbeton [FI-maagh]

Animation 5.4.3.1-1: 

Bergmännischer Stollenvortrieb - Holzverzug [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Der Verzug wird je nach Baugrundbeschaffenheit und Material entweder von Hand oder maschinell (Bild 5.4.3.1-3) vorauseilend eingeschlagen bzw. vorgepreßt oder entsprechend dem Vortriebsfortschritt bzw. Bodenabbau an der Ortsbrust in Intervallen nachgetrieben und mit Hartholzkeilen kraftschlüssig gegen die Ausbaubögen verkeilt. Zur Vermeidung von Setzungen sind verbleibende Hohlräume im Baugrund bzw. Fehlstellen im Verzug gegen ein Herausrieseln des Bodens z. B. durch Verstopfen mit Holzwolle oder Spritzbeton zu sichern.

Der gelöste Boden und Abraum werden je nach Größe des Stollens durch Schubkarren, Bandförderung, Kübelförderung mit oder ohne Gleis abtransportiert.

Bei kurvenförmiger Linienführung des zu erneuernden Kanals wird immer ein Verzug aus Holzdielen eingesetzt, da hier durch unterschiedliche Dielenlängen und -anordnungen problemlos eine Anpassung bei nicht richtungstreuer Anordnung der Ausbaubögen erfolgen kann. Demgegenüber ist der Einsatz von Blechen oder Kanaldielen im allgemeinen nur bei geradliniger Trasse möglich.

(Bild 5.4.3.1-4), (Bild 5.4.3.1-5), (Bild 5.4.3.1-6), (Bild 5.4.3.1-7), (Bild 5.4.3.1-8), (Bild 5.4.3.1-9), (Bild 5.4.3.1-10) und (Animation 5.4.3.1-1) zeigen die Arbeitsschritte beim bergmännischer Stollenvortrieb (Bild 5.4.3.1-11) (Bild 5.4.3.1-12). Nach dem Vortreiben der Sicherungsbleche bzw. des Holzverzuges wird die Ortsbrust sukzessive abgebaut und sofort gesichert. In der letzten Phase eines jeden Vorbaus ist die Ortsbrust jeweils in voller Höhe gegen den letzten Ausbaubogen ausgesteift. Das Mittelholz wird eingebaut, damit die Abspindelungen der Ortsbrust aus dem Randbereich zum Einbau eines neuen Ausbaubogens entfernt werden können. Der Einbau der Drucksteifen zwischen den jeweils letzten Ausbaubögen garantiert den richtigen Abstand der Bögen zueinander in vertikaler und horizontaler Ausrichtung.

 
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Bild 5.4.3.1-4: 

Anordnung einer Startbaugrube im Grünstreifen beim bergmännischen Stollenvortrieb in Anlehnung an [Scher77b] [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

Beim bergmännischen Stollenvortrieb kann die Startbaugrube außerhalb der Trasse des Abwasserkanals oder der zu erneuernden Rohrleitung angelegt werden, wodurch sich Verkehrsprobleme vermeiden lassen. Ein Beispiel hierfür zeigt (Bild 5.4.3.1-13) . In diesem Fall werden die eigentlichen Arbeitsstollen über Querstollen erreicht. Zielbaugruben sind nicht erforderlich.

Besondere Vorteile ergeben sich bei diesem Bauverfahren durch die direkte Zugänglichkeit der Anschlußkanäle. Es ist jedoch darauf zu achten, daß diese beim Vortreiben des Verzuges nicht beschädigt werden.

Vorhandenes Grundwasser muß abgesenkt oder abgefangen und abgeleitet werden. In Sonderfällen kann zum Durchfahren stark wasserführender Störzonen und zur Vermeidung von Setzungen auf baugrundabdichtende und/oder -verfestigende Verfahren z. B. Bodeninjektion (Abschnitt 5.2.2) zurückgegriffen werden.

Nach Freilegung des Altkanals (Bild 5.4.3.1-14) bzw. der zu erneuernden Rohrleitung im Schutze der vorübergehenden Sicherung erfolgt die Erneuerung unter Verwendung von (Bild 5.4.3.1-15) (Bild 5.4.3.1-16) (Bild 5.4.3.1-17) (Bild 5.4.3.1-18) :

  • vorgefertigten Rohren oder
  • Ortbeton.
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Bild 5.4.3.1-5: 

Bergmännischer Stollenvortrieb (zu erneuernder Abwasserkanal freigelegt) [Scher78]

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Bild 5.4.3.1-6: 

Ausbaumöglichkeiten des bergmännisch vorgetriebenen Stollens in Anlehnung an [Düsse] [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

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Bild 5.4.3.1-7: 

Ausbaumöglichkeiten des bergmännisch vorgetriebenen Stollens in Anlehnung an [Düsse] [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]

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Bild 5.4.3.1-8: 
Ausbaumöglichkeiten des bergmännisch vorgetriebenen Stollens in Anlehnung an [Düsse] [Quelle: STEIN Ingenieure GmbH]
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Bild 5.4.3.1-9: 

Neuer Kanal im Stollen fixiert mit einmündender provisorischer Vorflutleitung [Düsse]

 

Für die Erneuerung mit vorgefertigten Rohren stehen zwei Varianten zur Verfügung:

Variante 1: Verlegung der Vorflutleitung, Entfernen des Altkanals, Verlegung des neuen Kanals, Umschließen der Anschlußkanäle, Rückbau der Vorflutleitung,

Variante 2: Verlegung des neuen Kanals unmittelbar parallel zum alten, Umschließen der Anschlußkanäle, Entfernen des Altkanals.

Der verbleibende Ringraum wird anschließend z.B. mit Beton (mindestens B5) oder hydraulisch gebundenem, fließfähigem Füllmaterial mit einer Mindestdruckfestigkeit von 1 N/mm 2 verfüllt (Abschnitt 5.3.2.2.1) (Abschnitt 5.4) . Hierbei sind die Rohre gegen Auftrieb zu sichern.

Für die Herstellung des neuen Kanals in Ortbetonbauweise (Bild 5.4.3.1-17) gelten die Ausführungen des (Abschnitt 5.3.1.4) .

Die Vorteile des bergmännischen Stollenvortriebs sind:

  • Sämtliche für die Erneuerung in offener Bauweise im (Abschnitt 5.4.1) angeführten Vorteile,
  • flexibel vor Ort anpaßbar an sich ändernde Baugrundverhältnisse,
  • nur geringfügige Verkehrsbeeinträchtigungen insbesondere bei entsprechender Standortwahl der Startbaugrube,
  • nur kurzzeitige Lärm- und Emissionsbelastungen bei der Herstellung der Baugruben,
  • relativ einfache Vorflutsicherung und Handhabung der Anschlußkanäle bei Herstellung des neuen Kanals (Abschnitt 5.5) ,
  • Altkanal und mögliche kontaminierte Bodenbereiche im Auffahrquerschnitt werden entfernt.

Nachteile des bergmännischen Stollenvortriebs:

  • Zeit- und arbeitsaufwendig
  • Relativ großer Bodenaushub bezogen auf den Nutzquerschnitt bei Verlegung nichtbegehbarer Kanäle. Dieser Nachteil entfällt, wenn im aufgefahrenen, begehbaren Stollenquerschnitt ein entsprechend großer Rohrquerschnitt, der auch als Speicherkanal verwendet werden kann, verlegt wird (nach DIN EN 752-5 [DINEN752-5:1997] überdimensionierter Abwasserkanal mit der Funktion eines Speicherkanals).
  • Bei anstehendem Grundwasser ist eine GW-Absenkung erforderlich.
  • Stollensicherungen (Ausbaubögen und Verzug) verbleiben im Baugrund und können bei Verrottung zu Setzungen führen.
  • Erhöhte Setzungsgefahr bei unsachgemäßem Abbau der Ortsbrust und Einbau des Verzuges
  • Beschädigungsgefahr für kreuzende Leitungen durch den vorauseilenden Verzug bei nicht sachgemäßem Vortrieb der Dielen oder Bleche

Bezüglich der durchzuführenden Prüfungen des zu erneuernden Kanals gelten die Ausführungen des (Abschnitt 5.4.3.3) .

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)