Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)

Gefälle

Abwasser ist eine Mischung von Wasser mit den verschiedenartigsten Feststoffen, unter welchen stets auch absetzbare anzutreffen sind. Deren Sedimentation innerhalb der Kanalisation kann vermieden werden, wenn eine bestimmte Geschwindigkeit beim Abfluß des Abwassers nicht unterschritten wird.

Frühling (1910) [Frühl10] und Braubach (1925) [Braub25] geben an, daß dieser Wert in größeren Sammlern im Mittel nicht weniger als 0,6 m/s bis 0,75 m/s betragen darf und, daß in kleinen Leitungen, welche zeitweilig trockenlaufen, etwa der anderthalbfache Wert erforderlich ist.

Heute sollte nach [ATV95b] "zur Verminderung von Ablagerungen die Fließgeschwindigkeit bei der Trockenwetterabflußspitze nicht unter 0,80 m/s und die Wassertiefe stets über 5 cm betragen".

Aufgrund neuerer Erkenntnisse und unter der Annahme einer Betriebsrauhheit kb = 1,0 mm sowie einer Volumenkonzentration an absetzbaren Feststoffen von c T = 0,05 ‰ ergeben sich nach [Führb83] [Macke87] untere Grenzwerte der Fließgeschwindigkeit vcrit für die verschiedenen Nennweiten gemäß (Tabelle 1.5-1) .

Tabelle 1.5-1: 

Grenzwerte für ablagerungsfreien Betrieb von Schmutz-, Regen-, und Mischwasserkanälen (s. ATV - A 110, Fassung 08.88) [ATVA110:1988]

Nennweite
DN
kritische Geschwindigkeit
vcrit [m⁄s]
kritisches Gefälle
Jcrit [‰]
150 0,48 2,72
200 0,50 2,04
250 0,52 1,63
300 0,56 1,51
350 0,62 1,48
400 0,67 1,45
450 0,72 1,42
500 0,76 1,40
600 0,84 1,37
700 0,91 1,33
800 0,98 1,31
900 1,05 1,29
1000 1,12 1,26
1100 1,18 1,25
1200 1,24 1,24
1300 1,28 1,22
1400 1,34 1,20
1500 1,39 1,19
1600 1,44 1,18
1800 1,54 1,16
2000 1,62 1,14
2200 1,72 1,12
2400 1,79 1,10
2600 1,87 1,10
2800 1,96 1,09
3000 2,03 1,08

Die angeführten Werte für vcrit beziehen sich auf die Fließgeschwindigkeiten bei Halbfüllung (h/D = 0,5). Nach ATV-A 110 [ATVA110:1988] sind sie im Rahmen üblicher Genauigkeit auch auf den Nachweis für Teilfüllungszustände von h/D > 0,3 anwendbar.

Auch nach oben ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung erforderlich wegen der Abriebwirkung des mitgeführten Sandes bei höherer Fließgeschwindigkeit. Als zulässige Höchstgeschwindigkeiten galten z.B. im Jahre 1965 [Busch65] :

  • Schmutzwasserkanäle des Trennsystems
    vmax= 2,5 m/s bis 3 m/s
  • Misch- und Regenwasserkanäle (wegen der relativ seltenen Höchstbelastung)
    vmax = 3 m/s bis 4 m/s (Betonrohre)
    vmax = 4 m/s bis 5 m/s (Schleuderbeton und Steinzeug).

Heute werden bei großen Höhenunterschieden innerhalb des zu entwässernden Einzugsgebietes Fließgeschwindigkeiten in den Abwasserkanälen von 6 m/s bis 8 m/s unabhängig vom Rohrwerkstoff zugelassen, da die bisher befürchteten Verschleißerscheinungen an Rohrsohlen und Rohrwandungen nur sehr selten auftreten [ATV95b] .

Zur Einhaltung der o.a. Fließgeschwindigkeiten werden Kanäle mit einem entsprechenden Gefälle bzw. Sohlengefälle verlegt.

Beide Begriffe werden wie folgt definiert:

Gefälle nach DIN EN 752-1 [DINEN752-1:1996] : Verhältnis zwischen den vertikalen und horizontalen Projektionen eines Leitungsabschnittes.

Sohlengefälle nach DIN 4045 [DIN4045:1985] : Neigung der Sohllinie des Abwasserkanals oder der Abwasserleitung (z. B. in ‰).

Richtwerte enthalten die (Tabelle 1.5-2) und (Tabelle 1.5-3) . In beiden Tabellen wurden die Originalbezeichnungen verwendet. Trotz der relativ langen Zeitspanne zwischen diesen Gefälleangaben ist nur ein geringfügiger Unterschied feststellbar.

Tabelle 1.5-2: 

Zulässige Gefälle für verschiedene Kanalnennweiten im Jahre 1910 [Frühl10]

  Gefälle
kleinstes größtes günstigstes
Hauskanäle DN 100 und DN 125 1:10 1:15 bis 1:30
Hauskanäle DN 150 1:15 1:20 bis 1:50
Straßenkanäle bis DN 300 1:250 1;20 1:30 bis 1:150
Straßenkanäle DN 300 bis DN 600 1:4000 1:20 1:50 bis 1:200
Nebensammler (Eiquerschnitt) 1:1000   1:100 bis 1:300
Sammler und Hauptkanäle 1:2000 bis 1:3000 1:30 bis 1:100 1:1000

 

Tabelle 1.5-3: 

Zulässige Gefälle für verschiedene Kanalnennweiten im Jahre 1955 [Schle55]

  Gefälle
kleinstes größtes günstigstes
Hausanschlüsse 1:100 1.15 1:50
Anfangsstränge DN 200 bis DN 300 1:300 1:15 1:50 bis 1:150
DN 300 bis DN 600 1:500 1:25 1:100 bis 1:200
Hauptleitungen DN 600 bis DN 1000 1:1000 1:50 1:200 bis 1:500
große Sammelleitungen DN 1000 bis DN 2000 1:3000 1:75 1:300 bis 1:750

 

Das Gefälle eines Abwasserkanals in seinem gesamten Verlauf bis zu einem Hauptsammler, einer Kläranlage oder einem Pumpwerk wird in der Regel so gewählt, daß die oberen Haltungen mit den kleineren Nennweiten und der geringeren Wasserführung mit stärkerem Gefälle verlegt werden als die mittleren und die unteren Haltungen, da in diesen Bereichen mit einem größeren und stetigeren Abfluß und damit auch mit einer größeren Schleppspannung des Abwassers gerechnet werden kann.

image
Bild 1.5-1: 

Kanalführung im Längsschnitt in Anlehnung an [Busch65]. [Quelle: visaplan GmbH]

Nach [ATV95b] sind in den Anfangshaltungen der Abwasserkanäle daher Gefälle zwischen 3 ‰ bis 10 ‰, im mittleren Bereich von 2 ‰ bis 3 ‰ üblich. In den Endstrecken der Abwasserkanäle mit größeren Querschnitten ( Nebensammler, Hauptsammler usw.) werden Gefälle je nach den topographischen Verhältnissen mit 1 ‰ bis 2 ‰, teilweise noch weniger, gewählt.

Die Kanäle sind innerhalb einer Haltung, d.h. zwischen den Schächten, in der Regel jeweils geradlinig ohne Querschnittsänderung geführt. Erforderliche Querschnittsvergrößerungen erfolgen im Bereich der Schächte, wobei die Scheitellinie der lichten Querschnitte im allgemeinen ohne Sprung durchgeführt wird. Die Absätze befinden sich in der Sohle (Bild 1.5-1) . In Ausnahmefällen - bei geringem Gefälle oder gar bei Gegengefälle der Straße - wird Gefällehöhe durch das bündige Durchlaufen der Rohrachse oder der Rohrsohle eingespart (Bild 1.5-1) .

Größere Differenzen zwischen Straßengefälle und maximalem Leitungsgefälle werden durch Gefällesprünge in Form von Absturzbauwerken ausgeglichen (Abschnitt 1.8) .

Instandhaltung von Kanalisationen / Hrsg.: Prof. Dr.-Ing. Stein & Partner GmbH / Redaktion: D. Stein, R. Stein (2001)