Gasversorgungssysteme
Anfang der sechziger Jahre begann Deutschland mit der Einführung des energiereichen Erdgases, welches das bis dahin zur Verfügung stehende Stadtgas, das aus Kohle hergestellt wurde, sowie das als Ferngas gelieferte Kokereigas verdrängte [Altma83].
Nach DIN EN 12007-1 [DINEN12007-1] ist Gas ein "gasförmiger Brennstoff, der bei einer Temperatur von 15°C und unter atmosphärischem Druck (1,01325 bar absolut) im gasförmigen Zustand ist". Es dient der Versorgung der Haushalte mit Energie zum Heizen, Kochen und zur Warmwasseraufbereitung sowie darüber hinaus als wertvoller Rohstoff für die petrochemische Industrie.
Der Weg des Erdgases von den Lagerstätten, wo es als Roherdgas gefördert und direkt auf dem Erdgasfeld aufbereitet wird, bis zum Verbraucher erfolgt über Transportleitungen und Gasversorgungssysteme.
In den vergangenen Jahrzehnten wurde in Europa ein eng vermaschtes Erdgas-Transportnetz zum Transport der Gases über oft sehr große Entfernungen in einzelnen Rohrleitungssträngen (Pipeline) aufgebaut, das laufend erweitert wird (Bild 6.2.2.3-1). Dieses europäische Verbundnetz ermöglicht die Nutzung der Vorkommen in verschiedenen Fördergebieten, die Diversifikationen der Transportwege und den internationalen Mengenabtausch bei Lieferengpässen [FI-EVG]. Es erschließt nicht nur die Erdgasquellen, beispielsweise in der norddeutschen Tiefebene oder in der Nordsee, überwiegend aus Erdgasfeldern vor der Küste Norwegens und den Niederlanden, mit dem europäischen Festland sondern auch Lagerstätten außerhalb des europäischen Kontinents, z.B. in Nordafrika und in Sibirien über miteinander vernetzte Pipelinesysteme.
Das europäische Verbundnetz ist zum Ausdruck der engen gastechnischen und -wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Förderund Verbraucherländern geworden [FI-Saar].
Der überwiegende Anteil des in der Nordsee geförderten Erdgases gelangt über unter Druck betriebene erdverlegte oder Unterwasserleitungen (Offshore-Pipelines) in die europäischen Importländer, aus Nordafrika in der Regel über Flüssiggastanker (LNG-Transporte), die das Erdgas dann in europäischen Häfen in das Verbundnetz einspeisen (Bild 6.2.2.3-1).
Heute überbrücken moderne Leitungssysteme Entfernungen von mehr als 6000 km über Land; auch Unterwasserleitungen von über 1000 km Länge in Wassertiefen bis zu 600 m sind keine Seltenheit; die Gesamtlänge des europäischen Transportnetzes beträgt insgesamt über 200.000 km [FI-Ruhrg].
Während des Gasflusses über diese großen Entfernungen fällt der Druck durch die Reibung der Gasmoleküle im Gasstrom selbst und an den Rohrwänden ab. Dieser Druckverlust muss zum Weitertransport in regelmäßigen Abständen erhöht werden. Dies geschieht in Verdichterstationen [DVGWAG497c], die im Transportnetz ca. alle 100 km bis 200 km platziert werden [FI-Ruhrg].
Die Gasversorgungssysteme ("Rohrleitungssysteme einschließlich der Leitungsanlagen und Einrichtungen für den Transport und die Verteilung von Gas" [DINEN12007-1]), in der Praxis und nachfolgend auch Gasversorgungsnetze genannt, dienen der regionalen Verteilung des Erdgases an die Verbraucher in den Städten.
Heute sind 4 von 10 Haushalten an die Erdgasversorgung angeschlossen.
Man unterscheidet in Abhängigkeit des Betriebsdrucks zwischen:
- Hochdrucknetzen (über 1 bar)
- Mitteldrucknetzen (von 100 mbar bis 1 bar)
- Niederdrucknetzen (bis 100 mbar)
Als Bindeglied zwischen Transportleitung und des daran angeschlossenen Gasversorgungssystems dienen die sogenannten Erdgasübergabe oder -übernahmestationen in der gewöhnlich auch eine zusätzliche Aufbereitung (Abscheidung funktionsstörender Stoffe), die Odorierung [DVGWAG280] sowie die Vorwärmung und Regelung bezüglich Druck und Menge des Erdgases für den Verbraucher erfolgen.
Nur in kleinen Gemeinden wird hier der Druck direkt auf den Druck des Endverbrauchernetzes (in der Regel 18 mbar bis 1 bar) reduziert. Ansonsten ist, um die Rohrleitungsdurchmesser nicht zu groß werden zu lassen, ein übergeordnetes Gasversorgungssystems zwischengeschaltet, das bei Drücken bis 16 bar arbeitet [DINEN12007]. Aus versorgungstechnischen Gründen ist man bestrebt, dieses übergeordnetes Rohrleitungssystem als Ringleitung zu schalten und mit mehr als einer Einspeisestelle zu versehen.
Das Endverbrauchernetz ist weitgehend in vernaschter Form (Bild 6.2.2.3-2) ausgeführt. Nachgeschaltete Regelstationen übernehmen die Absenkung des Druckes auf den des Endverbrauchernetzes.
Viele ältere Gasversorgungssysteme werden noch im Niederdruckbereich betrieben. Der Betrieb dieser Netze ist im Vergleich zu Mitteldruck- und Hochdrucknetzen problemloser, allerdings weisen diese nur eine geringe Transportkapazität auf.
Die Neuerschließung von Städten und Gemeinden erfolgt seit den dreißiger Jahren über Mitteldrucknetze; der Anschluss der Verbraucher mit Hochdrucknetzen bis 4 bar ist ebenfalls zulässig. Hochdruck-, Mitteldruck- und Niederdrucknetze überlagern sich häufig, wobei Druckregelstationen als Bindeglied zwischen unterschiedlichen Druckstufen dienen [Altma93] [RBV99].
Hierzu sind die erforderlichen Einrichtungen, wie Rohrleitungen, Absperranlagen [DVGWAG441], Gasdruckregelanlagen [DINEN334] [DVGWAG459-2] [Fisch00] und Messanlagen [DVGWAG492], gegebenenfalls auch Speicherbehälter, jeweils in Anpassung an die Größe des Versorgungsgebietes und der von den Verbrauchern benötigten Gasmengen vorzusehen.
Die Eigenschaften der Werkstoffe für Rohrleitungen in Gasversorgungssystemen mit einem maximal zulässigen Betriebsdruck bis einschließlich 16 bar müssen nach DIN EN 12007 [DINEN12007-1] für die Gasart und Betriebsbedingungen geeignet sein und den einschlägigen Produktnomen entsprechen.
Der Einfluss klimatischer Bedingungen auf Werkstoffeigenschaften und das daraus resultierende Bauteilverhalten müssen berücksichtigt werden.
Für Rohrleitungen in Gasversorgungssystemen werden verwendet (Abschnitt 13) :
- Kunststoffrohre (PE [DVGWG472] oder PVC bzw. PE-HD [DVGWAG477])
- Stahlrohre [DVGWAG462] und [DVGWAG463a]
- duktile Gussrohre [DVGWAG461]
Für Rohrleitungen mit einem maximal zulässigen Betriebsdruck über 16 bar gelten die Anforderungen nach DIN EN 1594 [DINEN1594]. Für diesen Anwendungsbereich dürfen nur Rohre und Rohrleitungsteile aus beruhigtem Stahl verwendet werden. Schutzrohre sollten möglichst vermieden werden, um die Wirksamkeit des kathodischen Korrosionsschutzes nicht zu gefährden [DINEN1594].
Transportleitungen bestehen deshalb in der Regel ausnahmslos aus Stahl. In Gasversorgungssystemen dominieren als Versorgungs- bzw. Anschlussleitungen Rohre aus Kunststoff.
Die Nennweite der Rohrleitungen errechnet sich aus der Vorgabe des Betriebsdruckes bzw. des zulässigen, leistungsabhängigen Druckverlustes.
Bei Gasversorgungssystemen kommen Leitungen vornehmlich im Nennweitenbereich DN/ID 80 bis DN/ID 300 zur Anwendung; viele Gasversorgungsunternehmen legen als kleinste Nennweite für eine Versorgungsleitung DN/ID 100 fest.
Transportleitungen können Rohrnennweiten bis zu DN/ID 1400 aufweisen. Diese Pipelines werden, um hohe Transportkapazitäten zu erreichen, unter Hochdruck betrieben [DINEN1594], wobei Betriebsdrücke bei unterirdisch an Land verlegten Leitungen heutzutage bis zu 100 bar, bei auf dem Meeresgrund verlegten Leitungen bis zu 200 bar betragen können [FI-Ruhrg].
Die Verbindung der Versorgungsleitung mit der Hausanlage oder auch Hausinstallation erfolgt nach DVGW-Arbeitsblatt G 459-1 [DVGWAG459-1] über die Anschlussleitung (Bild 6.2.2.3-3) auf kürzestem Weg. Sie endet an der Hauptabsperreinrichtung innerhalb des zu versorgenden Gebäudes als Grenze der Zuständigkeiten zwischen Verbraucher und Gasversorgungsunternehmen.
Weitere Ausführungen über die Rohrarten, die für Gasversorgungssysteme grabenlos verlegt werden können, enthält Abschnitt 13.
Die Kette der Gasverteilung endet mit dem Gas-Druckregelgerät für die Hausversorgung zwischen der sogenannten Hauptabsperreinrichtung und dem Gaszähler zur Messung und Anzeige eines häuslichen oder gewerblichen Gasverbrauchs.
Anschlussleitungen können entweder über Anbohrarmaturen gemäß DIN 3543 [Damra98] [DIN3543-1] [DIN3543-2] [DIN3543-3] [DIN3543-4] (Abschnitt 1.1.1) oder über T-Stücke mit der Versorgungsleitung verbunden werden.
Anschlussleitungen aus Stahl mit DN/ID > 80 mm werden in die Versorgungsleitung mit Formstücken eingebunden (Bild 6.2.2.3-4), kleinere Nennweiten üblicherweise durch aufgeschweißte T-Stücke (Bild 6.2.2.3-5).
Bei Hausanschlüssen mit einem Nenndurchmesser DN/ID > 80 mm oder einem Betriebsdruck PN > 1 bar ist nach DVGW G 459 Teil 1 [DVGWAG459-1] eine von der Straße her zu bedienende Absperreinrichtung außerhalb des Gebäudes (z.B. Straßenkappe) an geeigneter Stelle einzubauen.
Die Mauerdurchführung muss gasdicht sein.
Das Isolierstück dient der elektrischen Trennung von Versorgungsleitung und Hausinstallation.
Reinigungsstücke werden in der Regel nicht mehr verlangt.
Neben der direkten Erdverlegung ist auch die Verlegung der Anschlussleitung in einem Schutzrohr möglich (Abschnitt 2.1.2.5). Dadurch erhöht sich die Sicherheit gegen Korrosion und unzulässige Kraftübertragungen.
Das Rohrnetz im Gasverteilungssystem besteht, wie das im Abschnitt 1.1.1 beschriebene Wasserverteilungssystem, noch aus einer Vielzahl weiterer Rohrleitung steile.
Die wichtigsten Funktionen übernehmen in mit Mittel- oder Hochdruck betriebenen Netzen (> 100 mbar) die Armaturen (Bild 6.2.2.3-5). Sie haben die Aufgabe, Leitungsstrecken zu trennen, d.h. gegebenenfalls den Gasstrom über Handbetätigung oder Fernsteuerung zu drosseln oder zu unterbrechen [Busse97].
Weitere Anforderungen an diese Armaturen sind in DIN 3230-5 [DIN3230-5], DIN 3394 [DIN3394-1] und DIN 3537 [DIN3537-1] enthalten.
Der Einbau von Absperrorganen in Anschlussleitungen und in Verbindung mit Gas-Druckregelanlagen wird u.a. in den entsprechenden DVGW-Arbeitsblättern, z.B. G 490 [DVGWAG490], G 491 [DVGWAG491] und G 459 [DVGWAG459-1], geregelt.
Der Einbau anderer Armaturen, wie Wassertöpfe, Kondensatsammler, Staubscheider, Messstellen oder Kontrollorgane, richtet sich nach den jeweils technischen Notwendigkeiten, z.B. der Qualität des Gases [Eberh90].